Denkmalpflege auf Abwegen
Dass die Denkmalpflege dem Handeln skrupelloser Investoren immer wieder tatenlos zuschauen muss wie jüngst in München oder Dresden, das ist oft traurige Realität. In Lübeck gerät die städtische Denkmalschutzbehörde nun aber selbst in die Kritik. Ausgerechnet in der Hansestadt mit Welterbe-Status und einem der größten Bestände historischer Bausubstanz in ganz Deutschland, ebnete sie den Weg für den Abriss der spätklassizistischen Villa Hansestraße 2 am Lindenplatz in der St.-Lorenz-Vorstadt. Die Abrissarbeiten haben trotz heftiger Bürgerproteste in dieser Woche begonnen.
Um den historischen Wert des Gebäudes, das heute in Bahnhofsnähe und ZOB liegt (besser lag), einschätzen zu können, ist ein kurzer Blick in die Geschichte Lübecks im 19. Jahrhundert notwendig. Bis zur Aufhebung der Torsperren 1864 bauten die Lübecker Bürger ausschließlich innerhalb des gewaltigen Areals der mittelalterlichen Altstadt. Mit der Industrialisierung und dem Anschluss Lübecks ans Schienennetz bilden sich aber repräsentative Vorstädte außerhalb der Stadtmauern: St. Lorenz, St. Gertrud und St. Jürgen. Die Villa Hansestraße 2 von 1870 war eines der wenigen erhaltenen Zeugnisse dieser städtebaulich bedeutenden Phase. Trotz dieser historischen Bedeutung und des qualitätvollen Äußeren strich die Denkmalschutzbehörde den Bau 2015 aus der Liste der Kulturdenkmäler. Diese nur schwer nachvollziehbare Entscheidung ist zurecht von der Bürgerinitiative „Rettet Lübeck“ (BIRL) kritisiert worden.
Die Rolle der Investoren und der Politik
Die volle Brisanz entfaltet dieser Vorgang aber erst vor dem Hintergrund, dass der historische Bau einem Neubauvorhaben am Zentral-Omnibus-Bahnhof im Wege stand. Das Vorhaben ist im Eilverfahren ohne Ausschreibung, Ideen- oder Architekturwettbewerb von der Politik durchgewinkt worden, obwohl es sich um öffentlichen Grund handelt, der dort veräußert wurde. Die bis ins Jahr 1990 zurückreichenden Begleitumstände lassen den Verdacht aufkommen, hier sei Kulturgut dem Profitstreben einzelner Investoren geopfert worden. Es wäre nicht das erste Mal!
Nutznießer dieses zweifelhaften Geschäftes ist die Immobilienfirma wkm Development GmbH aus Herford. Diese ist erst 2014 durch Dr. Jürgen Wernekinck, Heike Kleinhans und Karsten Monke gegründet worden. Monke und Kleinhans sind zugleich Geschäftsführer der ebenfalls in Herford ansässigen archwerk GmbH, die das Ärztehaus und den Hotelkomplex plant, dem die spätklassizistische Villa am Lindenplatz zum Opfer fiel. Ist das nicht praktisch – Investor und Architekt in Personalunion?
Update (10.05.18): Bei meiner Recherche ist mir die dritte Partei im Bunde entgangen. Der Kaufmann und Apotheker Jörg Ortmann ist als Investor verantwortlich für den Neubau des Ärztehauses, das den Abriss der Villa Hansestraße 2 bedingte. Seine Rolle bei diesem fragwürdigen Projekt wird im hanseview kritisch betrachtet.
Was bleibt, ist ein äußerst bitterer Beigeschmack und die nicht neue Erkenntnis, dass das Bemühen um den Erhalt von Kulturgütern selbst in einer Stadt wie Lübeck nicht den finanziellen Partikularinteressen Paroli bieten kann.
Es ist erschreckend in mehrfacher Hinsicht. Unsere Architektenschaft ist nicht mehr in der Lage, die notwendige Sensibilität für einen innerstädtsichen Ort mit Tradition und Geschichte aufzubringen und kennt nur noch das reine Würfelhusten, dann noch mit den nicht mehr zu ertragenden versetzten Fenstern, also immer gegen das historische Umfeld. Die Nachbarschaft zeichnet sich durch Kleinteiligkeit und eine belebte geneigte Dachlandschaft aus. Auch auf diese Thematik wird nicht rekurriert. Im Gegenteil, die bestehenden Häuser werden durch belanglose und ortsuntypische Neubauten in Haft genommen und damit desavouiert. Ganz zu schweigen von dem völlig überflüssigen Abriss einer klassizistischen Villa, die, wenn man sich nur ausreichend bemüht hätte, in ein neues Nutzungskonzept hätte integriert werden können. Was der 2. Weltkrieg nicht vernichtet hat, wird immer wieder durch skrupellose Investoren, unfähige Architekten und willfährige Politik perfekt und sauber abgeräumt zugunsten einer Banalisierung unserer öffentlichen Räume. Und die Denkmalpflege schaut weg!
Dem kann ich mich nur anschließen. Ein weiteres trauriges Beispiel findet sich in Lübeck in der Moislinger Allee, wo in jüngerer Zeit ein ehemaliges Fabrikgebäude aus der Jugendstilepoche abgerissen wurde (siehe unter Sellshopp-Haus), ein Gebäude, welches durch seinen hellen Putz sich von den Backsteingebäuden jener Zeit sehr unterschied – es hätte ein prima Industriedenkmal für eine etwas andere Formensprache werden können, als sie in jener Zeit in der Industriearchitektur normalerweise üblich war. Aber auch hier ging es nur um schnellen privaten Profit.
Hilla