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Das Judentum in der frühen Neuzeit
Eine Synagoge ist im Unterschied zur christlichen Kirche nicht geweiht. Auch geht ihre Funktion über die eines religiösen Versammlungsraumes hinaus. Die Synagoge ist zugleich Ort der Gemeindeveranstaltungen, der Bildung und der Kinderschulung in der jüdischen Gemeinde. Diese Grundlagen gepaart mit dem Umstand, dass die Ansiedlung von Juden im frühneuzeitlichen Deutschland häufig mit Restriktionen seitens des Landesherren verbunden war, führte dazu, dass Synagogen in vielen Fällen vergleichsweise bescheidene Gebäude waren. Die Gemeinden wechselten dabei im Laufe der Jahrhunderte nicht selten die Örtlichkeiten.
Die jüdische Gemeinde in Detmold
Eine solche Situation findet sich auch im lippischen Detmold. Bis vor kurzem waren dort zwei Synagogenbauten bekannt. 1742 baute man in der Exterstraße eine Scheune für die entsprechenden Zwecke um. Erstmals durfte die jüdische Gemeinde ein eigenes Gebäude besitzen, denn bis dato war Juden der Erwerb einer Immobile durch den Landesherren untersagt. Der Bau durfte aber an keiner Straßenfront stehen und stellt daher ein rückwärtiges Hofgebäude dar. Er ist als Alte Synagoge bis heute erhalten. Erst 1907 entstand ein repräsentativer Bau an der Lortzingstraße, der in der Reichsprogromnacht 1938 wie so viele andere Synagogen Opfer der Flammen wurde.
Vor wenigen Jahren ist es nun gelungen, in Detmold ein drittes jüdisches Gotteshaus in Gestalt einer Hofsynagoge nachzuweisen. Das bescheidene Gebäude steht in der Bruchmauerstraße 37, ist aber als Hinterhaus zu einem Grundstück in der Krummen Straße 28 zu werten. Der Fachwerkbau ist 1988 als Gartenhaus unter Denkmalschutz gestellt worden, bevor die Wissenschaft jüngst seinen historischen Wert als älteste Detmolder Synagoge erkannte.
Die Bauforschung konnte dabei alle notwendigen Merkmale eines jüdischen Bethauses nachweisen und es dendrochronologisch auf das Jahr 1633 datieren. Archivalien weisen es spätestens 1723 als Synagoge aus, doch ist davon auszugehen, dass es bereits zu diesem Zwecke errichtet wurde. Die Gemeinde hatte es entsprechend des Verbots für jüdischen Immobilienbesitz angemietet. Derartige Hofsynagogen sind in Westfalen nur in sehr geringer Anzahl belegt – neben den beiden Exemplaren in Detmold Beispiele aus Telgte, Warendorf oder Padberg (bei Marsberg).
Denkmalpflege contra Eigentümer
Das Gebäude ist in seiner äußerlichen Gestalt kaum als Fachwerkbau erkennbar und in einem desolaten Zustand. Wir sind bei einer Stadtführung darauf aufmerksam geworden. Dass die ehemalige Synagoge aufgrund seiner historischen Bedeutung für Detmold im besonderen Maße erhaltungswürdig ist, dürfte trotzdem außer Zweifel stehen. Entsprechend hat die Denkmalpflege dem Ansinnen des Eigentümers, des Detmolder Rechtsanwalts Hendrik Schnelle, nach einem Abriss eine eindeutige Absage erteilt, die jüngst gerichtlich bestätigt wurde. Schnelle lehnte bisher einen Verkauf an die Stadt ab.
Dass Investoren der Denkmalpflege und dem Erhalt historischer Ensembles nicht viel Bedeutung beimessen, ist kein neues Phänomen. Das wirklich Pikante an dem obigen Sachverhalt ist allerdings, dass Schnelle nicht nur mehrfach Mandanten aus der rechtsextremen Szene vertreten hat, sondern bereits selbst wegen Volksverhetzung vorbestraft ist. Zu der Verurteilung führten Aussagen über die Vergasung von bestimmten Bevölkerungsgruppen. Wenn eine solche Person sich anschickt, Spuren jüdischen Lebens in seiner Stadt vernichten zu wollen, werden Erinnerungen an die dunkelste Zeit deutscher Geschichte wach, auch wenn in diesem Fall nicht zwangsläufig Antisemitismus als entscheidende Triebfeder auszumachen ist.
Fachliteratur für vertiefende Studien:
- Fred Kaspar / Peter Barthold, Ein Gebäude macht Geschichte. Das vergessene jüdische Bethaus von 1633 in Detmold, Bruchmauerstraße 37, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 86 (2017), S. 155-172
- Fred Kaspar / Peter Barthold, Die „vergessene“ Synagoge 1633. Das Gebäude Bruchmauerstraße 37 in Detmold (Kr. Lippe), in: Westfalen 96 (2018), S. 95-124
- Fred Kaspar, Aus den Augen – aus dem Sinn? Synagogen auf dem Hinterhof, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 27 (2021), Heft 2, S. 4-12 > Download
Eigentümer geht in die Offensive
Update (02.08.22): Mit einer eiligst zusammengezimmerten Website unter der Domain hofsynagoge.de stellt Schnelle nun seine Sicht der Dinge dar. Dabei unternimmt er den Versuch, die Forschungsergebnisse als falsch zu deklarieren und das Hinterhofgebäude in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zu datieren. Seine Ausführungen überzeugen nicht zuletzt deshalb nicht, weil er auf die in den letzten Jahren aufgedeckten Baubefunde, die die Existenz eines jüdischen Betraumes belegen, mit keinem Wort eingeht. Die dendrochronologische Datierung ins Jahr 1633 erkläre er sich mit der Wiederverwendung der Hölzer – ein Vorgang, der durchaus nicht selten vorkommt.
Frappierend sind vor allem die zahlreichen handwerklichen Fehler, die die Website auszeichnen. So datiert Schnelle den Dreißigjährigen Krieg falsch und vergisst die Einbindung der rechtlich vorgeschriebenen Datenschutzerklärung (beide Fehler wurden nur Stunden nach Veröffentlichung meines Updates korrigiert). Und auch vom Urheberrecht scheint Rechtsanwalt Schnelle nicht viel zu halten oder zu verstehen, denn bei den von Wikipedia entliehenen Abbildungen fehlt der notwendige Hinweis auf die Creative-Commons-Lizenz.
Äußerst irritierend ist aber vor allem eine eingebundene Karikatur, die ihn als Opfer der staatlichen Enteignung gleichsam der Situation der Juden im Jahre 1933 darstellt. An Geschmacklosigkeit ist dieser Analogieschluss kaum zu überbieten. Der dafür verantwortliche Karikaturist Götz Wiedenroth muss sich nicht zum ersten Mal mit der Kritik islamophober, antisemitischer und rassistischer Inhalte auseinandersetzen.
Ich bin zutiefst erschüttert. Gibt es in diesem speziellen Fall evtl. juristische Möglichkeiten, z.B. Restitutionsansprüche durch eine ehemalige jüdische Gemeinde oder deren Nachfolger, um dieses Gebäude zu retten? Unerträglich, diese Situation.
Da das Gebäude wohl nicht unrechtmäßig enteignet wurde (nach meinem Kenntnisstand), sehe ich in diese Richtung wenig Möglichkeiten. Die Frage ist, ob der drohende Verfall zu einer Enteignung führen könnte.
Auch ein drohender Verfall führt nicht zur Enteignung. Dies ist vor allem deshalb bitter, weil dem Besitzer schon lange klar war, dass es sich um ein Bethaus handelt. Weit vor der Aufarbeitung durch den Denkmalschutz, wenn ich mich recht erinnere.
Restitutionsansprüche würden voraussetzen, dass dieses Gebäude der jüdischen Gemeinde einmal gehört haben müsste und während der Zeit des Nationalsozialismus enteignet worden sein müsste. Beides liegt hier bei Weitem nicht vor: die Immobilie, welche später Hinterhofsynagoge wurde, wurde durch die jüdische Gemeinde gemietet. Nachdem man das Gebäude, welches heute als „Alte Synagoge“ bekannt ist, in Nutzung genommen hatte, wurde der Mietvertrag gelöst und das Gebäude durch die Gemeinde nicht mehr genutzt. Insofern ist der Gemeinde auch kein Schaden zuzurechnen. Leider, denn das würde die Rettung vereinfachen. Auch wenn die Rettung des Gebäudes die Möglichkeiten einer so kleinen Gemeinde wie der Herford-Detmolder Gemeinde an ihre Grenzen führen würde.
II. Baudenkmäler
Gefunden im Netz habe ich das folgende, dessen Konsequenzen aber unterschiedlich beschrieben werden, bei einer Enteignung scheint man etwas gleichwertiges anbieten zu müssen. Generell schwieriges Thema das nach meiner Hinsicht auf zwei Interpretationen hinausläuft:
– Herr Schnelle will auf keinen Fall verkaufen und
genießt die Publicity.
– Herr Schnelle will spekulieren und dann geht es um
eine möglichst hohe Summe Geldes für ihn.
Eine Erhaltung dieses Gebäudes wäre mehr als wünschenswert, seine eigene politische Stellungnahme habe ich mehrfach gehört (hören müssen) und ist bereits gerichtlich mehrfach festgestellt.
Eine Mischung aus Druck und Geld allein kann das Gebäude erhalten – in meiner Hypothese wird Herr Schnelle in nachhinein auf jeden Fall Unrecht feststellen.
Art. 4 – Erhaltung von Baudenkmälern
Erhaltung von Baudenkmälern
(1) 1 Die Eigentümer und die sonst dinglich Verfügungsberechtigten von Baudenkmälern haben ihre Baudenkmäler instandzuhalten, instandzusetzen, sachgemäß zu behandeln und vor Gefährdung zu schützen, soweit ihnen das zuzumuten ist. 2 Ist der Eigentümer oder der sonst dinglich Verfügungsberechtigte nicht der unmittelbare Besitzer, so gilt Satz 1 auch für den unmittelbaren Besitzer, soweit dieser die Möglichkeit hat, entsprechend zu verfahren.
(2) 1 Die in Absatz 1 genannten Personen können verpflichtet werden, bestimmte Erhaltungsmaßnahmen ganz oder zum Teil durchzuführen, soweit ihnen das insbesondere unter Berücksichtigung ihrer sonstigen Aufgaben und Verpflichtungen zumutbar ist; soweit sie die Maßnahmen nicht selbst durchzuführen haben, können sie zur Duldung der Maßnahmen verpflichtet werden. 2 Entscheidungen, durch die der Bund oder die Länder verpflichtet werden sollen, bedürfen der vorherigen Zustimmung der Obersten Denkmalschutzbehörde.
(3) 1 Macht der Zustand eines Baudenkmals Maßnahmen zu seiner Instandhaltung, Instandsetzung oder zu seinem Schutz erforderlich, ohne daß eine vollstreckbare Entscheidung nach Absatz 2 vorliegt, so kann die zuständige Denkmalschutzbehörde die Maßnahmen durchführen oder durchführen lassen. 2 Die dinglich und obligatorisch Berechtigten können zur Duldung der Maßnahmen verpflichtet werden. 3 Die Kosten der Maßnahmen tragen die in Absatz 1 genannten Personen, soweit sie nach Absatz 2 zur Durchführung der Maßnahmen verpflichtet wurden oder hätten verpflichtet werden können, im übrigen der Entschädigungsfonds (Art. 21 Abs. 2).
(4) Handlungen, die ein Baudenkmal schädigen oder gefährden, können untersagt werden.
Danke für diese detaillierten Ausführungen. Inwiefern rechtliche Mittel und Wege zur Enteignung existieren, darüber möchte ich mir kein Urteil erlauben. Ich hoffe lediglich, dass die Behörden alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, um die Synagoge zu retten. Es ist schon beschämend, mit welcher Selbstverständlichkeit Volksverhetzer in Deutschland jüdisches Kulturgut gefährden können.