Inhalt
Die Idee der Gartenstadt
Das Konzept der Gartenstadt geht auf den Briten Ebenezer Howard zurück, der 1898 ein Modell für eine nachhaltige Stadtplanung entwarf. Es war als Reaktion auf die schlechten Wohn- und Lebensbedingungen des Industriezeitalters gedacht. Kern der Idee ist es, autarke Trabantenstädte mit einem hohen Anteil von Grünflächen zu schaffen. Neben öffentlichen Grünanlagen sollte zudem jedes Haus über einen eigenen Garten verfügen, der den Bewohnern eine private grüne Oase inmitten der Stadt bietet. Durch fußläufige Erreichbarkeit aller notwendigen Einrichtungen wird eine Quartierbildung angestrebt. Im Idealfall war eine Nutzungstrennung durch Bereiche vorgesehen, die sich konzentrisch um das Siedlungszentrum anordneten und ebenfalls von Grünstreifen getrennt waren. Die Grenzen von Stadt und Land sollten durch die Selbstversorgung der Siedlungen und die umgebende Landschaft aufgehoben werden.
In Deutschland machten sich Anfang des 20. Jahrhunderts ähnliche Ideen breit, die ihre Vorläufer in den Villenvierteln und den Werkssiedlungen des 19. Jahrhunderts hatten. 1902 wurde in Berlin die Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft (DGG) gegründet. Als wichtigstes Kriterium wurde das Gemeineigentum an Grund und Boden, also ein genossenschaftliches Prinzip, definiert.
Die Margarethenhöhe im Essener Süden
Eine Stiftung von Margarethe Krupp
Zu den frühesten Siedlungen dieser Art in Deutschland gehört die unter Denkmalschutz stehende Margarethenhöhe in Essen, wobei einschränkend festgehalten werden muss, dass in diesem Fall nie eine Genossenschaft existierte. Vielmehr wird der Wohnraum von seinen Anfängen bis heute durch eine Stiftung verwaltet. Zu verdanken ist dies der Krupp-Familie. Margarethe Krupp gründete 1906 die Margarethe Krupp-Stiftung anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter Bertha und übergab hierbei den nördlichen Teil des Familienbesitzes mit dem Ziel, vergleichsweise komfortablen Wohnraum für die Essener Bevölkerung zu schaffen, die sich kein Wohneigentum leisten konnten. Die Bauarbeiten unter der Leitung des aus Hessen stammenden Architekten Georg Metzendorf begannen 1909. In insgesamt 29 Abschnitten wurde bis weit in die 30er-Jahre gebaut. Stilistisch ist die Margarethenhöhe in die Reform- bzw. Heimatschutzarchitektur einzuordnen.
Rundgang durch die Siedlung
Wer sich der Siedlung von Nordosten über die Holsterhauser Straße nähert, kann ihre Insellage auf einer Anhöhe, umgeben von tiefen Taleinschnitten, gut ausmachen. Ein imposantes Brückenbauwerk, das im Rahmen der Bauarbeiten über dem Mühlbachtal entstand, führt auf ein Gebäudeensemble zu. Mit seiner Toröffnung stellt dieser Brückenkopf das Entrée der Margarethenhöhe dar und wirkt zugleich wie eine mittelalterliche Stadtbefestigung. Über die Brücke rollt bis heute die Straßenbahn, die die Margarethenhöhe frühzeitig an andere Stadtteile anschloss.
Vom Brückenkopf führt die Steile Straße hinauf zum Kleinen Markt mit dem Schatzgräberbrunnen. Es sind die ältesten Bauabschnitte der Siedlung; und das ist auch an ihrer herausstechenden Architektur abzulesen. Metzendorf arbeitete hier trotz der reduzierten Formensprache der Reformarchitektur mit Akzenten wie geschweiften Giebeln, Säulen und Holzschindeln. Am weitläufigen Markt sind die beiden Kopfbauten von herausragender Gestaltung. Auf der Nordseite steht das Gasthaus zur Margarethenhöhe mit seiner Loggia, einer aufwendigen Gaube sowie einer repräsentativen Balkonkonstruktion, die über die gesamte Breite der Fassade reicht. Gegenüber befindet sich ein neoklassizistisch anmutendes Gebäude. Der 1912 errichtete, monumentale Bau entstand als Konsumanstalt zur Deckung des täglichen Bedarfs der Siedlungsbewohner. Er beherbergt auch heute noch einen Edeka-Markt. Komplettiert wird der Marktplatz an seinen Flanken durch langgestreckte Wohnbauten, die mit ihren Loggien einen fast mediterranen Flair verbreiten.
Beim Flanieren durch die Straßen ist es augenfällig, wie es gelungen ist, durch einfache gestalterische Variationen die Lebendigkeit des Viertels hochzuhalten. Schön zu beobachten ist dies am kleinen Giebelplatz, auf dem die Schmalseiten von acht Häuserreihen mit den Möglichkeiten der Giebelgestaltung spielen. Vor- und Rücksprünge in der Straßenrandbebauung, dienen der Schaffung unterschiedlicher Sichtachsen. Und stets ist die Naturaffinität ein Thema; sei es durch die großflächige Verwendung von Holzschindeln an Reihenhäusern oder die einladend und großzügig gestalteten Austritte aus der Siedlung in den umgebenden Wald. Selbst in den Straßennamen spiegelt sich der Grundgedanke des zu steigernden Wohlbefindens der Bewohnerschaft wider: Schöngelegen, Sonnenblick, Trautes Heim, Im Heimgarten oder Daheim. Es ist bemerkenswert, welche sozialen Visionen im Wohnungsbau bereits vor mehr als 100 Jahren angelegt waren.