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Ein Mythos epischen Ausmaßes
Nein, das Museum muss nicht evakuiert oder seine Mitarbeiter in Quarantäne gesteckt werden. Die Pest ist dennoch in Herne gegenwärtig in Form einer Sonderausstellung zur Geschichte der Seuche. Sie wird an diesem Wochenende eröffnet und läuft bis Mai 2020. Ich hatte im Rahmen des Social Media Walks #PestQuest die exklusive Gelegenheit, die Ausstellung im Vorfeld zu besuchen.
Den Europäern ist der Schwarze Tod vor allem durch die große Pestepidemie in der Mitte des 14. Jahrhunderts im kollektiven Gedächtnis geblieben. Er führte zu einem massenhaften Sterben, Wüstwerdung ganzer Landstriche und einer demografischen Krise. Von da an sind Ausbrüche der Seuche ein ständiger Begleiter in der abendländischen Historie. Doch ist die Geschichte der Pest weitaus älter. Erst Ende des 19. Jahrhunderts begann man, die Krankheit zu verstehen und Strategien gegen eine weltweite Pandemie zu entwickeln. 1945 starb in Europa das letzte Mal ein Mensch an dieser Geißel der Menschheit. Weltweit sind vereinzelte Ausbrüche weiterhin zu verzeichnen.
Die Ausstellung: Die Pest in elf Abschnitten
Entsprechend breit gefächert zeigt sich die Ausstellung in Herne. Sie ist in elf Bereiche gegliedert, wobei der Fokus auf der mittelalterlichen Pandemie des 14. Jahrhunderts liegt. Insgesamt erwartet den Besucher eine beeindruckende medizin- und kulturhistorische Präsentation in einer abgedunkelten Atmosphäre, die mit ihren Schwarz-Grün-Kontrasten den passenden Rahmen für die Thematik bildet.
Symptome, Überträger und DNA-Analyse
Im ersten Abschnitt widmet man sich dem Erreger der Pest Yersinia pestis aus medizinischer Sicht, seinen Auswirkungen auf den menschlichen Körper und den Infektionswegen. Ratten und Flöhe sind dabei die bekanntesten Überträger. Mit moderner DNA-Analyse lässt sich die Historie der Seuche in Kombination mit Bild- und Schriftquellen heute weitaus besser nachvollziehen als noch vor wenigen Jahrzehnten.
Die Pest von der Steinzeit bis Justinian
Im zweiten Abschnitt wird der Besucher mit der jüngsten Forschungsgeschichte der Archäogenetik konfrontiert: Ende 2018 konnte der Erreger an einer rund 5000 Jahre alten Bestattung in Schweden nachgewiesen werden. Das ist der bisher älteste Beleg der Pest. In Deutschland ist er um 2000 v. Chr. durch DNA-Analysen bezeugt.
Mitte des 6. Jahrhunderts kam es dann zur ersten Pandemie, der Justinianischen Pest. Auch Kaiser Justinian erkrankte, überlebte aber die Krankheit. Aus jener Zeit ist in der Ausstellung eine Doppelbestattung aus Oberbayern zu sehen, bei der beide Beigesetzte an der Pest verstarben.
Der Schwarze Tod in Europa
Ab dem dritten Bereich widmet sich die Ausstellung der zweiten Pestepidimie in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Die Seuche gelangte mit mongolischen Reiternomaden aus Zentralasien auf die Krim und von dort über die Handelsrouten in die europäischen Handelsstädte, zunächst nach Konstantinopel, Genua und Marseille. Überhaupt ist es der Mobilität des Menschen zuzuschreiben, dass sich die tödliche Krankheit derart rasant in ganz Europa verbreiten konnte.
Die Angst vor der Seuche führte zu Schuldzuweisungen an Randgruppen, insbesondere gegen die jüdische Bevölkerung. Angebliche Brunnenvergiftungen machten die Runde und führten schließlich zu Judenprogromen. In der Ausstellung werden unter anderem die Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung in Köln im Jahre 1349 und in Erfurt 1350 thematisiert.
Der Pestarzt Dr. Schnabel
Bis ins 19. Jahrhundert hinein hielt sich die Lehre der vier Körpersäfte (Blut, Schleim gelbe und schwarze Galle), deren Ungleichgewicht Krankheiten auslösen sollte. Entsprechend wirkungslos waren die Gegenmaßnahmen wie Aderlass und Beulenschnitt gegen die Pest. Auch kamen exotische Gewürze, Kräuter, Edelmetalle, Dreck und Extremente zum Einsatz. Wohlriechende Düfte wurden genutzt, weil man glaubte, die Pest würde von fauligen Dünsten hervorgerufen. Besonders skurril mutet die Praxis an, den Anus eines Hahnes auf die Pestbeulen zu pressen.
Da sich die Ärzte vor Ansteckung zu schützen versuchten, trugen sie spezielle Kleidung. Der als „Dr. Schnabel“ bekannte Pestarzt scheint dagegen ein Mythos zu sein. Die unheimlich anmutende Darstellung mit einer Schnabelmaske ist nur aus wenigen Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts aus Frankreich und Italien bekannt.
Religiöse Praxis, Flucht und Quarantäne
Der zeitgenössische Mensch sah in der tödlichen Krankheit eine Strafe Gottes für ein ausschweifendes Leben oder mangelnden Glauben. Die Schrecken der Seuche führten zur Ausbildung neuer religiöser Praktiken und Frömmigkeit: Pestmessen, Pestprozessionen, Pestlieder, Geißelung. Als Schutzheilige wurden Maria, der heilige Sebastian oder der heilige Rochus angebetet.
Der zahllose Tod führte zum Zusammenbruch der Totenfürsorge und somit der Bestattungsrituale. Die Toten wurden vielfach anonym in Massengräber gekippt. Ein solches Szenario zeigt ein Gemälde aus dem Jahre 1578, das die Pestepidemie in der Stadt Löwen bildlich festhält.
Wirksamer als die aus der Leere der Körpersäfte abgeleiteten Maßnahmen und religiöse Exzesse waren Flucht, Isolation oder Quarantäne. Haushalte mit Pestkranken wurden deutlich sichtbar – häufig mit einem Kreuz – markiert und die Bewohner im eigenen Haus oder in Pesthäusern isoliert. Eine Flucht konnten sich viele Menschen aber nicht leisten.
Das Ende des Schreckens
Ein letztes Mal wütete die Pest großflächig 1894 in Hongkong. Alexandre Yersin identifizierte den Posterreger im gleichen Jahr. Damit hatte die Mikrobiologie den Kampf gegen die Seuche gewonnen, auch wenn sie bis heute nicht ausgerottet ist. 2017 brach letztmalig eine Pestepidemie auf Madagaskar aus. 200 Menschen starben.
In der Ausstellung steht auch ein Rasenmäher, bei dem man sich unweigerlich fragt, inwiefern dieser mit der Thematik in Verbindung gebracht werden kann. Im Jahre 1995 überfuhr eine Frau in Kalifornien versehentlich ein Grauhörnchen damit. Dieses war mit der Pest infiziert und hat den Erreger auf diese Weise auf den Menschen übertragen. Ob die Frau überlebte, ist leider nicht zu erfahren.
Faszination Pest
So makaber es klingt – der Schwarze Tod scheint bis heute eine kollektive Faszination auszuüben. Er wurde zu einem Mythos. Das beweist nicht zuletzt diese Ausstellung, der ich viel Erfolg prognostiziere. Die Pest hat sich in der Kunst, Literatur und sogar der Architektur niedergeschlagen, wie der letzte Bereich der Ausstellung aufzeigt. Heute sind ihre Schrecken weit weg und wir verarbeiten das Thema in Filmen, Videospielen und in Brettspielen. Auch in unserem Spieleregal stehen Spieleklassiker, in denen die Pest eine Rolle spielt.
2 Kommentare zu “Die Pest am LWL-Museum für Archäologie Herne”