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Die Stiftskirche Gernrode und das Heilige Grab

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Stiftskirche Gernrode
Stiftskirche Gernrode von Nordosten

Die Stiftskirche St. Cyriakus

Gründungs- und Baugeschichte

Wir begeben uns auf eine Zeitreise ins ausgehende Frühmittelalter, über 1000 Jahre in unserer Zeitrechnung zurück. Dabei blicken wir auf die Zeit zwischen 919 und 1024, als die Dynastie der Ottonen aus dem sächsischen Adelsgeschlecht der Liudolfinger die deutschen Könige und Kaiser stellte. Wir wollen an den nördlichen Harzrand ins altsächsische Herrschaftsgebiet blicken, dort wo sich die ersten Züge deutscher Geschichte greifen lassen. Mit der Stiftskirche St. Cyriakus in Gernrode haben wir eines der wenigen baulichen Zeugnisse aus ottonischer Zeit vor uns.

937 ernannte Kaiser Otto I. den aus einer Merseburger Grafenfamilie stammenden Gero zum Markgrafen der Ostmark. Um das Jahr 959 ist mit dem Baubeginn der Damenstiftskirche in Gernrode zu rechnen. Gero machte seine verwitwete Schwiegertochter Hathui zur ersten Äbtissin und weihte die Stiftskirche dem heiligen Cyriakus. Eine entsprechende Reliquie brachte er von einer Romreise mit, bei der er das Stift unter päpstlichen Schutz stellen ließ. Die Amtszeit von Hathui währte 55 Jahre. In dieser wurde die Kirche noch im 10. Jahrhundert vollendet.

Stiftskirche Gernrode - Südansicht
Südansicht der Stiftskirche mit doppelstöckigem Kreuzgang des 12. Jahrhunderts

Umfangreiche Baumaßnahmen erfolgten im 12. Jahrhundert. Dabei erhielt die Stiftskirche einen Westchor mit Krypta und Emporen in den Querhausarmen. Auch die Stiftsgebäude mit dem Kreuzgang sind dieser Zeit zuzurechnen. Erhalten hat sich von letzterem aber nur der zweigeschossige nördliche Kreuzgangflügel aus dem 3. Viertel des 12. Jahrhunderts.

Dem preußische Landeskonservator Ferdinand von Quast haben wir den hervorragenden Überlieferungszustand der Stiftskirche zu verdanken. Er leitete ihre beispielhafte Restaurierung von 1858 bis 1872, bei der unter Beibehaltung der Veränderungen des 12. Jahrhunderts die Wiederherstellung des ottonischen Gründungsbaus erfolgte.

Baugestalt

Die heutige Kirche des 10. und 12. Jahrhunderts präsentiert sich als eine doppelchörige Emporenbasilika. Als Material wurden Bruchstein und Quader verwendet. Die als erstes errichtete Ostapsis ist von zwei kräftigen Pilastern besetzt, während sich die übrigen ottonischen Bauteile weitgehend ungegliedert zeigen. Im Westen bilden die beiden Rundtürme des 10. Jahrhunderts mit der jüngeren romanischen Westapsis eine die Fernwirkung beherrschende Einheit.

Das Innere ist geprägt von den steilen Proportionen des Mittelschiffs, den Emporen und der weitgehend auf von Quast zurückgehende Ausmalung. Gerade die Langhausemporen, deren Funktion nicht zuverlässig überliefert ist, machen die Gernröder Stiftskirche zu einem Unikum im altsächsischen Raum. Auch die Ostkrypta besitzt als eine der ältesten Hallenkrypten in Deutschland eine herausragende Stellung. Die Kapitelle der Langhauspfeiler zeigen das antike Motiv der Akanthusblätter, allerdings ohne annähernd dessen Plastizität und Naturalismus zu erreichen.

Das Heilige Grab

Entstehung und Gestalt

Das wertvollste Ausstattungsstück der Stiftskirche ist im engeren Sinne gar keines. Das Heilige Grab stellt vielmehr eine bemerkenswerte Kleinstarchitektur dar, die sowohl kunsthistorisch als auch theologisch von höchstem Rang ist. Dabei handelt es sich um die Nachbildung des Grabes Christi in Jerusalem. Doch bereits die Datierung dieses selten erhaltenen Typus des christlichen Glaubensbekenntnisses ist umstritten. Am wahrscheinlichsten erscheint eine Entstehung um 1100 im Zusammenhang mit den ersten Kreuzzügen ins Heilige Land.

Das nachträglich ins südliche Seitenschiff in mehreren Bauphasen eingebaute Kleinod besteht aus zwei Kammern, von der die östliche die Vorkammer, die westliche die eigentliche Grabkammer darstellt. Letztere war ursprünglich gewölbt. Archäologische Untersuchungen legen einen Vorgängerbau an dieser Stelle nahe.

Stiftskirche Gernrode - Heiliges Grab
Das Heilige Grab in der Stiftskirche Gernrode

Ikonographisches Programm

Westwand des Außenbaus

Der bildhauerische Reichtum am Außenbau lässt das Heilige Grab wie einen überdimensionierten Reliquienschrein wirken. Das Bildprogramm thematisiert dabei das Wunder der Auferstehung Christi. Schauseite ist die Westwand mit dem Stuckrelief einer Frauenfigur im Zentrum, die von zwei korinthisierenden Freisäulen gerahmt wird. Die zentrale Komposition wird wiederum allseitig umfasst von zwei Friesbändern, von dem das innere mehrheitlich aus Tiergestalten und biblischen Figuren gebildet wird. Zu sehen sind unter anderem „Das Lamm Gottes“ als Symbol für den Opfertod Jesu, Johannes der Täufer sowie Moses mit den Gesetzestafeln. Das äußere Rankenband ist dagegen ornamental gehalten.

Stiftskirche Gernrode - Heiliges Grab - Westwand
Äußere Westwand des Heiligen Grabes

Zu der Frauenfigur im Mittelfeld existieren unterschiedliche Thesen hinsichtlich ihrer Identifizierung. Denkbar ist die Darstellung von Hathui, der ersten Äbtissin des Gernröder Frauenstifts. Weitaus überzeugender erscheint jedoch in diesem theologischen Kontext die Deutung als Maria Magdalena, die vor dem Grabe steht. Ihre Handhaltung, die gleichzeitig Empfang und Sendung andeutet, verweist auf die Verkündigung des Evangeliums.

Nordwand

Das Programm der Nordwand ist dagegen leichter zu entziffern. Die Außenwand der Hauptkammer zeigt den auferstandenen Christus und Maria Magdalena in der biblischen Begegnung der Noli-me-tangere-Szene, überliefert durch das Johannes-Evangelium. In der Mitte oberhalb beider Figuren ist der Pantokrator, also Christus als Weltenherrscher mit dem Segensgestung und dem Buch des Lebens zu sehen. Leider ist die Kopfpartie nur noch in Fragmenten erhalten.

Stiftskirche Gernrode - Heiliges Grab - Nordwand
Äußere Nordwand der Hauptkammer des Heiligen Grabes

Die beiden schreitenden Figuren auf der Außenwand der Vorkammer sind leider gänzlich abgeschlagen, doch lassen die Umrisse gut erkennen, um welches biblische Szenarium es sich dabei handelt. Es ist wiederum Johannes, der in seinem Evangelium davon berichtet, wie sich zwei Jünger auf den Weg zum Grab machten, um sich selbst von dem Bericht Maria Magdalenas über das leere Grab zu überzeugen. Dem vorderen namenlosen Jünger folgt Petrus – ein Szene, die in der christlichen Kunst nur selten dargestellt wurde.

Kammerinneres

Das Innere der Hauptkammer wird durch Säuen und Nischen plastisch belebt. Zwei Engel – auch hier handelt es sich um Stuckreliefs – flankieren den nicht mehr existenten Sarkophag. Sie verkündigen die Auferstehung Christi. Auf einem Spruchband ist zu lesen: „Surrexit, non est hic“ – „Er ist auferstanden, er ist nicht hier“. Auf dem Sarkophagsockel steht heute eine Steinskulptur, die eine Frauengruppe zeigt. Es handelt sich dabei wohl um die im Markus-Evangelium genannten drei Marien: Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus sowie Maria Salome. Sie kamen zum Grab, um den Leichnam zu salben. Der Aufstellungsort der Skulptur dürfte mit ziemlicher Sicherheit nicht originär sein.

Besondere Aufmerksamkeit verdient aber die überlebensgroße Figur, die in der Westwand der Grabkammer steht. Sie ist die besterhaltene und rätselhafteste des gesamten Programms des Heiligen Grabes. Neuere Untersuchungen ergaben, dass sie von Beginn an für diese Nische vorgesehen war und wahrscheinlich einen Nimbus (Heiligenschein) aus Metall trug sowie Edelsteine am Gewand vorhanden waren.

Stiftskirche Gernrode - Heiliges Grab - Inneres der Hauptkammer
Inneres der Hauptkammer des Heiligen Grabes

In der Forschung ist umstritten, wen diese vorzüglich gearbeitete Skulptur darstellt. Lange Zeit interpretierte man sie als den auferstandenen Christus. Hierzu will aber das erzbischöfliche Ornat mit dem Pallium nicht so recht passen. Es wurden daher Versuche unternommen, in der Figur den heiligen Metronus zu sehen, dem der Westchor der Stiftskirche geweiht ist. Andere wiederum sahen hier den Bischof Bernhard von Halberstadt dargestellt, der die erste Äbtissin des Damenstifts weihte. Beide Interpretationen sind allerdings nicht mit dem ikonographischen Konzept eines Heiligen Grabes in Einklang zu bringen. Die Insignien Stab und Märtyrerzweig in den Händen der Figur deuten dann doch eher auf die Lesart der Christusgestalt als Märtyrerbischof und Guter Hirte. So oder so haben wir es hier mit einer singulären Umsetzung ohne Parallelen zu tun.

Liturgische Funktion und kunsthistorische Würdigung

Zweck derartiger Heilig-Grab-Anlagen ist es, den Glauben an den Tod und die Auferstehung Christi zu vertiefen und sich die biblischen Ereignisse zu vergegenwärtigen. Entsprechend darf man sich an diesen Orten die Aufführung von Osterspielen vorstellen, wenngleich diese in Gernrode erst für das Spätmittelalter bezeugt sind. Die kunsthistorische Bedeutung des hier vorgestellten Beispiels eines Heiligen Grabes liegt in der vorzüglichen Qualität des Figurenschmucks, der einen Höhepunkt der frühromanischen Bildhauerkunst darstellt. Zudem in das Exemplar in Gernrode das älteste erhaltene seiner Art.

Gerahmt wird dieses außergewöhnliche mittelalterliche Kunstwerk von einem Kirchenbau, der in seiner Bedeutung dem Heiligen Grab in nichts nachsteht. Die Stiftskirche Gernrode ist eines der besterhaltenen Zeugnisse ottonischer Architektur in Deutschland. Daneben zu stellen wäre vor allem die etwas jüngere St.-Michaelis-Kirche in Hildesheim, St. Pantaleon in Köln sowie wenige Zentralbauten wie die Damenstiftskirche in Essen oder die Abteikirche im elsässischen Ottmarsheim.

2 Kommentare zu “Die Stiftskirche Gernrode und das Heilige Grab

  1. Vielleicht sei noch als Ergänzung zu dem sehr informativen Beitrag erwähnt, dass die Stiftskirche Gernrode an der Straße der Romanik liegt. Deren offizielle Internernetseite bietet weitere umfangreiche Infos und Angebote für Freunde der Romanik.

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