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Die Stolpersteine von Zeitz und der alltägliche Antisemitismus

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Stolpersteine

Angriff auf unsere Erinnerungskultur

Antisemitische Taten sind spätestens seit dem 7. Oktober des letzten Jahres, seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, massiv angestiegen. Vor wenigen Wochen wurde in Nordrhein-Westfalen eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass antisemitische Ansichten mittlerweile tief bis in die Gesellschaft reichen. In diesem Kontext ist wohl auch die Tat einzuordnen, bei der in der sachsen-anhaltinischen Stadt Zeitz alle Stolpersteine zum Gedenken an dort ehemals wohnhafte Juden herausgebrochen und entwendet wurden. Eine Liste der betroffenen Objekte findet sich bei Wikipedia.

Es ist wohl kein Zufall, dass die Tat ausgerechnet in der Nacht zum Jahrestag des Terrorangriffs verübt wurde. Sie reiht sich in eine ganze Anzahl unfassbarer und abscheulicher Akte gegen unsere Erinnerungskultur und gegen unsere jüdischen Mitbürger, für deren Aufzählung hier gar kein Raum ist. Im Gedächtnis blieben mir allerdings die Drohungen gegen Buchenwald-Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner. Spätestens seit dem Mord an Walter Lübcke wissen wir alle, dass die Spirale des verbalen Hasses auch in gezielte Taten umschlagen kann. Müssen wir uns alle daran gewöhnen? Ich weigere mich, das zu akzeptieren. Ich begleite seit Jahren für einen Kunden – ein jüdisches Museum – ein Stolperstein-Projekt, das wir auf seine Website per interaktiver Karte eingebunden haben, das mir jetzt umso mehr am Herzen liegt. Worauf müssen wir uns dort einstellen, wenn die gesellschaftliche Fehlentwicklung sich nicht umkehren lässt?

Digitale Hassbotschaften

Dieser Hass inklusive des hier zur Debatte stehenden Antisemitismus begegnet uns täglich vor allem auf den sozialen Netzwerken, insbesondere X (ehemals Twitter). Die einst so produktive Plattform ist seit der Übernahme durch Elon Musk zu einem wahren Hort von Hassbotschaften und Verschwörungstheorien geworden. Dabei ist es gleichgültig, ob dies von Rechts oder von muslimischen Fanatikern praktiziert wird. Für die in Deutschland lebenden Juden ist es eine kaum vorstellbare Belastung und macht ihre Lebensbedingungen schwierig.

Umso erschrockener war ich, als ich in den vergangenen Tagen feststellen musste, dass auch ein Kulturforum, in dem ich mich gerne austausche, nicht mehr von dieser Entwicklung verschont bleibt. In einem Strang wurde die Zeitzer Tat thematisiert und auf einen Spendenaufruf aufmerksam gemacht, mit deren Hilfe die Stolpersteine ersetzt werden sollen. Neben viel Zuspruch mischten sich aber auch Stimmen, die man im besten Fall als pietätlos und abstoßend bezeichnen kann. Im schlimmsten Fall sind sie einfach antisemitisch. Der Medienbericht über die Entwendung der Zeitzer Stolpersteine wurde mit einem lachenden Smiley quittiert. Und die Spendenaktion wurde mit „nicht einverstanden“ markiert. Immer wieder war von deutschem Schuldkult zu lesen. Ein Nutzer sah – wörtlich wiedergegeben – sein Leben durch die Stolpersteine vermiest. Was für eine unerträgliche Respektlosigkeit gegenüber den Opfern und ihren Nachfahren! Man möchte meinen, dass Höckes erinnerungspolitische Wende um 180 Grad längst eingesetzt hat. Eine beklemmende Stimmung macht sich breit.

Spendenaufruf

Da es den Störenfrieden fatalerweise gelungen ist, den Aufruf zur Spendenaktion aus dem Forum entfernen zu lassen, möchte ich mit den Worten des zuständigen Landrates Götz Ulrich enden:

Diese Tat ist unverzeihlich und niemals zu entschuldigen. Wer dies tut, will auch den Holocaust aus unserer Erinnerungskultur herausreißen. Das größte Menschheitsverbrechen aller Zeiten muss uns immer Mahnung bleiben, wozu Menschen fähig sind und wozu Deutsche fähig waren. Die Steine müssen sofort ersetzt werden. Hierzu werden finanzielle Mittel benötigt. Ich rufe daher auf, für neue Steine zu spenden.

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