
Inhalt
Digitalisierung in Museen auf dem Vormarsch?
Rückbesinnung auf die Grundwerte
Die Einladung von Dr. Thorsten Beck zur Blogparade mit den Titel „Wie digital sollten Museen sein?“ kam gerade zum richtigen Zeitpunkt. Die Digitalisierung in Museen und Kultureinrichtungen scheint derzeit präsenter denn je. Bei der Jahrestagung des Museumsverbandes Niedersachsen und Bremen am 6. April in Einbeck war es eines der beherrschenden Themen, obwohl es gar nicht auf der Agenda stand. Initiiert durch den Vortrag des Soziologen Prof. Dr. Harald Welzer über die Transformation des Freizeitverhaltens in der Gesellschaft entwickelte sich eine kontroverse Podiumsdiskussion, die immer wieder die Digitalisierung in Museen in den Fokus nahm.
Welzer propagierte dabei die Abkehr von dem Bestreben, stets die neusten digitalen Trends in der Vermittlungsarbeit integrieren und verfolgen zu wollen. Vielmehr forderte er eine Rückbesinnung auf die Grundwerte musealer Einrichtungen als analoge Orte der Wissensvermittlung und Sammlungstätigkeit. In seiner Radikalität schien er dabei dem einen oder anderen Vertreter der Museumslandschaft aber doch einen Schritt zu weit zu gehen. Gleichwohl sind seine mahnenden Worte nicht gänzlich als unbegründet abzutun.
Die Journalistin Lisa Timm kritisierte bereits 2015 nach der Eröffnung des Europäischen Hansemuseums in Lübeck das digitale Vermittlungskonzept des Hauses. Die Literaturwissenschaftlerin und Soziologin Dr. Angelika Schoder griff diese Eindrücke auf und ergänzte sie durch eigene Erfahrungen. Ihre Analyse des Konzeptes der Dauerausstellung kommt zu dem Schluss, Storytelling und Museumspädagogik blieben auf der Strecke. Verantwortlich seien hierfür der übermäßige Einsatz digitaler Medien, die zudem zum Zeitpunkt ihrer Umsetzung bereits nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik entsprachen. Sie dominieren vielfach die Inhalte derart, dass diese in den Hintergrund treten. Leider ist es mir bisher nicht möglich gewesen, die Einschätzungen von Timm und Schoder mit meinen eigenen Eindrücken abzugleichen. Ein Besuch des Museums in Lübeck steht noch aus.
Eingeengte Handlungsspielräume
Ungeachtet dieses Mankos ist die Problematik der zu schnell voranschreitenden digitalen Standards für den Einsatz in der Vermittlungsarbeit von Museum und Kultureinrichtungen nicht von der Hand zu weisen. Langwierige Konzeptionierungsphasen und fehlende finanzielle Mittel der Häuser stehen im Widerspruch zu dem Anspruch, die Trends der Digitalisierung auf Augenhöhe zu begleiten. Gerade hierbei greifen die mahnenden Worte von Welzer, sich der analogen Welt der musealen Wurzeln zu besinnen, womit wir wieder den Bogen zur Jahrestagung in Einbeck geschlagen hätten.
Die anwesenden Einrichtungen verwiesen nicht ganz zu Unrecht auf die den Handlungsspielraum einengenden Rahmenbedingungen durch die Träger und Förderer. Wer die überlebensnotwendigen Finanzmittel erhalten möchte, muss innovative Konzepte vorlegen können, bei denen Digitalisierung und die Erschließung neuer Besuchergruppen eine wesentliche Rolle spielen. Digitalisierung liegt im Trend! So musste der Konsens der Diskussion letztlich lauten: Digitalisierung ist dort zu befürworten, wo sie die Inhalte und Exponate nicht verdrängt, sondern die Vermittlungsarbeit unterstützt. Anders ausgedrückt: Digitalisierung so wenig wie möglich und so viel wie nötig!
Die digitale Strategie
Kernbereiche
Die Diskussion um die Digitalisierung in Museen und Kultureinrichtungen sollte sich nicht ausschließlich auf die Vermittlungsarbeit konzentrieren. Meine berufliche Tätigkeit der letzten Jahre ermöglichte es mir, einen intensiven Blick von außen anzulegen. Mein Fazit: Kultureinrichtungen sind nicht selten bereits beim Einsatz digitaler Technik in vielen Kernbereichen von Kulturarbeit überfordert. Zu nennen sind so essenzielle Aufgaben wie Öffentlichkeitsarbeit, Sammlungsmanagement, Forschung oder schlichtweg Organisation sowie Budgetplanung. Es mangelt vielfach an einer auf alle Bereiche abgestimmten digitalen Strategie und häufig auch an entsprechend geschultem Personal.
Bevor diese Grundlagen in einer Einrichtung nicht gelegt sind, muss der Versuch, digitale Trends in Ausstellung und Vermittlung großflächig zu integrieren, Stückwerk ohne Nachhaltigkeit bleiben. Bevor hoch gesteckte Ziele und Konzepte mit Apps, Media-Guides oder Touchscreens angegangen werden, ist eine digitale Gesamtstrategie zu entwickeln. Und diese beginnt und endet nicht erst bei der Vermittlungsarbeit, sondern beim ganzheitlichen Umgang mit den Möglichkeiten digitaler Technik in der Kulturarbeit.
Personalmangel
Ein Hemmfaktor für digitale Strategien ist vielfach der Mangel an entsprechend geschultem Personal. Auch wenn es wie ein Vorurteil klingt: Mit den Wechsel zu jüngerem Personal halten neue Kommunikationsstrukturen und somit digitales Know-how allmählich Einzug in die Museumswelt. Sebastian Wehrstedt umschreibt diesen bisweilen zähen Wandel mit folgenden Worten:
Es ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, dass der Großteil kultureller Einrichtungen durch die öffentliche Hand getragen wird. Hier prägen alteingesessene Mitarbeiter die “workflows” und den Alltag. Eher die Ausnahme sind Volontäre und andere Mitarbeiter, die neben ihrer eigentlichen, oft museal-geisteswissenschaftlichen Qualifikation, noch weiteres Wissen und Interesse mitbringen. Dies ist umso tragischer, als dass sich erst allmählich Fortbildungsformate herausbilden, die ebendiese Nische bedienen. Gleichwohl mag es noch einige Jahre dauern, bis klar geworden ist, dass auch (wiss.) Mitarbeiter von Museen ein grundlegendes Verständnis für das Funktionieren von Webseiten, 3-D-Grafik und digitalen Workflows mitbringen. Doch die Spatzen pfeifen es von den Dächern.
Die Fortbildungsformate, die Wehrstedt hierbei anspricht, sind ein tragender Mosaikstein auf dem Weg der digitalen Transformation der Museumswelt. Dabei berichtet er als Teilnehmer des Fortbildungsangebots MUSEALOG aus eigener Erfahrung. Bedauerlicherweise stellte der gleiche Bildungsträger im letzten Jahr das seit 14 Jahren erfolgreiche Projekt REGIALOG ein, das Geisteswissenschaftlern für den Arbeitsmarkt im Kultursektor qualifizierte und den Umgang mit digitalen Medien als wesentlichen Schwerpunkt der Ausbildung beinhaltete.
Wie notwendig derartige Qualifizierungen sind, zeigt bereits ein Blick auf die Studie von Marlene Hofmann über die Präsenz Thüringischer Museen im Internet. Demnach besaßen Ende 2017 lediglich 62% der Einrichtungen eine eigene Website, nur 40% konnten mit einem Facebook-Account aufwarten. Bei Instagram und Twitter war man mit jeweils 6% kaum vertreten und erschreckende 1% führten einen eigenen Blog. Welches Potential hier verloren geht, muss wohl nicht explizit betont werden. Welche großartigen Möglichkeiten mit entsprechender Kreativität soziale Netzwerke bietet, hat zuletzt das Portal Museumswissenschaft.de in einem Beitrag zusammen getragen.
Der kritische Blick von außen
Auch wenn die folgenden Beispiele sicher nicht stellvertretend für alle Einrichtungen stehen, so verdeutlichen sie doch, welch elementarer Nachholbedarf an manchen Museen und Kulturinstitutionen beim Einsatz digitaler Medien noch vorherrscht. Einige Erfahrungen, die mir nachhaltig in Erinnerung blieben (es handelt sich dabei ausschließlich um hauptamtlich geführte Einrichtungen):
- Websites für Veranstaltungsreihen, die inhaltlich nicht aktualisiert werden (Folge: Der Interessent muss davon ausgehen, dass die Reihe eingestellt wurde.)
- Websites auf Basis von Content Management Systemen, die seit mehreren Jahren keine Sicherheitsupdates erhalten haben
- eine Website, die im Jahre 2016 für eine Kultureinrichtung ohne mobile Variante (responsive) geschaffen wurde (was sich die ausführende Webagentur dabei gedacht hat, ist mir bis heute ein Rätsel)
- nicht gepflegte Mediendatenbanken: unbrauchbare Fotosammlungen, bei denen die Originalaufnahmen ebenso verschollen waren wie die Dateien, die der Grafiker für die gestalteten Logos übergeben haben muss
- fehlendes Corporate Design
- Einsatz von Rechnern mit Windows XP(!) ohne effektivem Virenscanner im Jahre 2018(!) – und das auch noch in einem betrieblichen Netzwerk
- Budgetplanungen von Veranstaltungsreihen und des Jahresetats mit Microsoft Word, weil der Geschäftsführer kein Excel beherrscht (damit effektiv eine Break-Even-Point-Analyse vorzunehmen, dürfte eine interessante Herausforderung sein)
- Nutzung von Freemailern für die Hausadresse trotz vorhandener Domain und Website
Die Beispiele mögen extrem sein, demonstrieren jedoch, welche Missstände in Museen und Kultureinrichtungen in Teilen vorherrschen. Und damit können wir auch den Bogen schlagen zum oben vorgestellten Europäischen Hansemuseum in Lübeck, das mit einem exzessiven Einsatz digitaler Medien in der Ausstellung viel Kritik auf sich zog. Es will mit dem Anspruch des Hauses so gar nicht zusammenpassen, dass die Website des Hauses keine SSL-Verschlüsselung aufweist. Dies ist umso bedenklicher, als dass sich dort ein Kontaktformular finden lässt, womit die Seite nicht datenschutzkonform ist. [Update (30.06.18): Mittlerweile hat man hier nachgebessert.]
Damit steht man aber nicht allein da. Die vor wenigen Monaten an den Start gegangene Website der Stiftung Historische Museen Hamburg zum Themenjahr „Hamburg 1918.1919“ macht es noch schlimmer. Auch hier fehlt die SSL-Verschlüsselung, obwohl der Besucher sich mit seiner Mail-Adresse für den Newsletter anmelden kann. Zusätzlich fehlt sogar die Datenschutzerklärung. Diese Beispiele zeigen, dass auch größere Einrichtungen mit entsprechendem finanziellen Background bereits eklatante Schwächen bei einem rechtskonformen und den technischen Standards entsprechenden Internetauftritt aufweisen.
Um eine Lanze für die Kulturträger zu brechen, soll nicht unerwähnt bleiben, dass auf der Gegenseite Einrichtungen existieren, die trotz eingeschränkter finanzieller Mittel erkannt haben, wie wichtig eine digitale Strategie für die Kulturarbeit sein kann. Glücklich schätzen dürfen sich Häuser, die einen eigenen Grafiker beschäftigen können oder Mitarbeiter für die Betreuung der Website oder ihre Social-Media-Kampagnen einsetzen können.

Résumé
Welches waren gleich nochmal die konkreten Fragestellungen der Blogparade? Ich versuche mich anhand meiner obigen Ausführungen an den Antworten.
Welche digitalen Angebote sollte jedes Museum machen?
Digitale Angebote dürfen ein Ausstellungskonzept nicht überlagern. Sie müssen die Vermittlungsarbeit unterstützen und ergänzen, nicht aber die Exponate verdrängen und zum Selbstzweck werden. Digitale Medien sollten vor allem dort zum Einsatz kommen, wo neue Besuchergruppen angesprochen werden können.
Sind Museen ohne digitale Angebote heute noch wettbewerbsfähig?
Nein, mittelfristig nicht mehr. Die Digitalisierung in unserer Kommunikation und in unserer Freizeitgestaltung lässt sich nicht mehr aufhalten. Darauf müssen Museen reagieren, jedoch mit dem nötigen Augenmaß. Nicht jeder Trend ist geeignet, in die Museumsarbeit oder in Ausstellungskonzepte übernommen zu werden.
Was macht ein überzeugendes digitales Profil aus?
Museen und Kultureinrichtungen müssen vor allem auf entsprechend geschultes Personal setzen, das in der Lage ist, eine digitale Strategie zu entwickeln und umzusetzen. Eine solche Strategie beginnt nicht erst in der Ausstellung, sondern viel früher und ist umfassender: Öffentlichkeitsarbeit, Sammlungsmanagement, Forschung, Verwaltung und Organisation.
Wie stellst Du Dir das digitale Museum der Zukunft vor?
Ein für die Zukunft gut aufgestelltes Museum nutzt effektiv die Möglichkeiten der Digitalisierung vor allem in den internen Strukturen und in der Öffentlichkeitsarbeit (Website, Social Media, Blog). Es stellt seine analogen Exponate und Inhalte in den Fokus und unterstützt die Vermittlungsarbeit gezielt durch digitale Medien. In einer durch und durch digitalisierten Welt macht diese analoge Erfahrung das Besondere für den Besucher aus. Und das Bedürfnis nach analogen Nischen könnte sich in Zukunft noch verstärken. Vielleicht liegt hierin sogar die Zukunft der Museumspädagogik.