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Ist das Kunst oder kann das weg?
Nicht zum ersten Mal trägt es sich zu, dass eine Reinigungskraft ein Kunstobjekt an einem Museum oder im öffentlichen Raum aus Unkenntnis seiner wahren Bedeutung beschädigt, vernichtet oder entsorgt hat: So geschehen vor einigen Tagen am Museum Schnütgen in Köln, deren räumliches Herzstück die romanische Cäcilienkirche ist. Aber erzählen wir die Geschichte von Beginn an.
Der Schweizer Künstler Harald Naegeli ist ein Avantgardist. Als „Sprayer von Zürich“ wurde er in den 1970er-Jahren zu einem Vorreiter in der Kunstwelt von Street-Art und Graffiti. Das brachte ihn damals zwangsläufig auch in Konflikt mit dem Schweizer Gesetz, was diverse Kontroversen auslöste und ihn zur Flucht nach Deutschland bewegte. Als sein Fürsprecher fungierte kein Geringerer als Joseph Beuys. Der Kölnische Kunstverein stellte seine Werke in einer Fotoausstellung aus. Heute ist Naegeli, der eine künstlerische Ausbildung genoss und auch als Zeichner tätig ist, ein angesehener Künstler. Unter anderem verfügt die Universität Tübingen über eine entsprechende grafische Sammlung. Naegelis charakteristischen Strichmännchen lassen dabei den Einfluss des Dadaismus erkennen.
2022 widmete das Museum Schnütgen dem Kunstschaffen Naegelis eine Sonderausstellung. Gegenstand dieser Ausstellung war auch das nun versehentlich durch die Stadtreinigung in Teilen entfernte Skelett, das der Künstler 1980 an das vermauerte Westportal der Cäcilienkirche sprühte. Es steht seit Jahrzehnten unter Denkmalschutz und wurde 1989 explizit auf Bitten des Museums durch den Künstler erneuert. Das Motiv fand sich in Köln ursprünglich auch an anderen Orten, was in der Gesamtheit an das im Spätmittelalter und frühen Neuzeit beliebte Totentanz-Thema in der bildenden Kunst anschließt. Im Œuvre des Künstlers findet sich der Memento-mori-Gedanke immer wieder an zentraler Stelle. So durfte er entsprechende Darstellungen vor einigen Jahren auch am Züricher Grossmünster realisieren. Seine Werke versteht Naegeli als Protest gegen die Unwirtlichkeit der Städte und der Architektur sowie als vergängliche Kunst, die auf Vergänglichkeit hinweist.
Graffiti-Kritzeleien?
Da Naegeli aus gesundheitlichen Gründen nicht für die erneute Auffrischung seines Totentanz-Skeletts nach Köln reisen kann, gab er bereits grünes Licht für den Fall, dass andere berufene Hände dem Kunstwerk wieder zu seiner Vollständigkeit verhelfen wollten. In diese Übereinkunft, die eigentlich alle zufriedenstellen könnte, grätscht nun der Kölner Ortsverband des gemeinnützigen Kulturvereins Stadtbild Deutschland hinein. In einer Veröffentlichung, die in diversen sozialen Netzwerken erschien, heißt es:
Die AWB hat alles richtig gemacht! Die verantwortlichen Mitarbeiter haben vermutlich aus ihrem natürlichen Verständnis von Sauberkeit und Ordnung eine störende Sauerei an einem der ältesten Gebäude der Stadt entfernt. Dass es sich dabei um ein schützenswertes „Kunstwerk“ handeln soll, ist einem normalen, bodenständigen Menschen kaum zu vermitteln. Lieblos aufgesprühte Graffiti-Kritzeleien haben an ehrwürdigen romanischen Klosterkirchen aus der Stauferzeit nun einmal nichts zu suchen! Anstatt sich um die Wiederherstellung derartig unansehnlicher „Kunstwerke“ zu bemühen, sollte die Stadt die Reste des selbigen am besten ganz entfernen lassen.
Dem möchte ich entgegnen: Man muss nicht jede Kunst schön oder ansprechend finden, aber man sollte sie als bekennender Kulturfreund akzeptieren. Wenn man allerdings die Beseitigung von Naegelis Totentanz fordert, dann demonstriert man nur, dass man ein einseitiges Verständnis von Kunst besitzt und offensichtlich bereit ist, sich zudem über Eigentums- und Urheberrechte des Museums und des Künstlers hinwegzusetzen. Was möchte man überhaupt unter „normalen, bodenständigen Menschen“ verstehen? Sind die Verantwortlichen des Museums Schnütgen nicht normal oder nicht bodenständig? Oder gar beides? Was sind das für unreflektierte Zuschreibungen? Wer Menschen und Kunst derart abwertet, hat sich aus dem Diskurs bereits selbst ausgeschlossen, bevor er überhaupt begonnen hat.
Der Verein sollte sich wieder auf das konzentrieren, wofür er steht und wofür ich ihn schätze: die Bewahrung von historischen Stadtbildern und ihre Rekonstruktion. Kunst und Kulturgut gegenseitig auszuspielen, ist dabei eine denkbar schlechte Strategie, um andere von der Sinnhaftigkeit des eigenen Anliegens zu überzeugen. Dabei wäre eine Koexistenz gerade an der Cäcilienkirche denkbar einfach zu begründen: Naegelis Totentanz beeinträchtigt das romanische Mauerwerk des mittelalterlichen Gotteshauses in keiner Weise, denn das Skelett grinst uns von einer Mauerfläche an, die als jüngere Vormauerung des Westportals dient, das wiederum in einer neoromanischen Fassade des 19. Jahrhunderts sitzt.
Nachdenkliches
Ganz nebenbei bemerkt: Naegelis Werke sprechen mich auch nicht an, weil mir zu zeitgenössischer Kunst häufig der Zugang fehlt. Ich habe als Kunsthistoriker aber gelernt, künstlerisches Schaffen nach seiner Bedeutung für die Entwicklung der Kunstgeschichte zu beurteilen, nicht nach persönlichen Vorlieben. Eine Abwertung von Kunst nach ideologisch begründeten Schönheitsidealen ist leicht formuliert. Wohin es allerdings führen kann, wenn wir in unserer Ignoranz Kunstwerke in ehrwürdige Kunst und unsägliche Schmierereien scheiden und damit Existenzberechtigungen absprechen, wissen wir zu gut. Der Dadaismus, der Naegelis Werk entscheidend beeinflusste, galt im Nationalsozialismus als „entartet“. Seine Kunst hätte damals das gleiche Schicksal ereilt. Also hören wir bitte damit auf, Kunst für einen Kulturkampf zu instrumentalisieren und zu missbrauchen!
Stellungnahme Stadtbild Deutschland
Update (06.10.24): Ich habe dem Vorstand des Gesamtvereins Stadtbild Deutschland folgenden Fragenkatalog zum Sachverhalt vorgelegt: Ist man auch im Vorstand der Ansicht, die Werke Naegelis seien eine „störende Sauerei“, die man „normalen und bodenständigen Menschen“ nicht als Kunstwerk verkaufen könne? Ist das die offizielle Sichtweise des Vereins auf die Sammlung zeitgenössischer Kunst am Museum Schnütgen? Und wie ist das mit dem Satzungsziel zu vereinbaren, dass der Verein sich insbesondere dem Kulturerbe verpflichtet sieht?
Ich bin mir dabei wohl bewusst, dass der Ortsverband den Gesamtverein in ein Dilemma hineinmanövriert hat. Die Antwort fiel – wenig überraschend – denkbar kurz und ausweichend aus. Man betonte die Bedeutung der hohen Güter Kunstfreiheit und Kunstkritik in einer pluralistischen Gesellschaft und verwies des Weiteren auf eine Veröffentlichung des Deutschen Kulturrates aus dem Jahre 2020. Darin wird angemahnt, dass man in der Kunstkritik strittige, selbst unappetitliche, Postionen austauschen und aushalten müsse. Die Bedeutung der Meinungsfreiheit, die lediglich durch gesetzliche Bestimmungen begrenzt sei, wird hervorgehoben.
Dieser Sichtweise kann man sich in letzter Konsequenz gewiss anschließen, ohne dabei auf Abwege zu geraten. Allerdings will sie nicht so recht zum Kölner Sachverhalt passen, denn, wenn man a) Naegelis Totentanz und somit seinem ganzen Werk das Kunstsein abspricht, b) sein Existenzrecht bestreitet und seine Vernichtung fordert und c) Menschen und Institutionen, die sich seit Jahrzehnten für diese Form der Kunst starkmachen, herabwürdigt, dann verlässt man den geschützten Rahmen einer Kunstkritik. Kunstkritik erfordert den grundsätzlichen Konsens, dass der Gegenstand der Debatte eine künstlerische Ausdrucksform darstellt, sei diese nun positiv, negativ oder viel differenzierter zu bewerten. Wer aber diese Basis verlässt, der stellt die Kunstfreiheit grundsätzlich infrage.