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Beliebtes Eiland in der Ostsee
Rügen ist für viele Deutsche ein Sehnsuchtsort. Die Insel in der Ostsee ist nicht nur die größte Deutschlands, sondern auch einer der sonnenreichsten Flecken Deutschlands. Die Natur ist so verschiedenartig wie auf keinem anderen Eiland und selbst für Kulturliebhaber hält sie vieles bereit. Was liegt da näher, als die Insel in ihrer gesamten Vielfalt vorzustellen? Vielleicht kann der folgende Überblick dem einen oder anderen Reisenden einen wertvollen ersten Eindruck vermitteln, welche Ecken Rügens besonders lohnenswert erscheinen.
Die (Kultur-)Landschaft
Vielfalt der Kulturlandschaft
Die meisten Reisenden dürften Rügen über die Rügendammbrücke aus Richtung Stralsund betreten. Was wir hier zunächst von der Natur zu sehen bekommen, entlockt uns keine Begeisterungsstürme. Der Süden und Westen der Insel sind geprägt von flachen Ebenen und landwirtschaftlichen Flächen, die von Alleen und einsamen Dörfern aufgelockert werden. Hierher verirren sich nur wenige Touristen. Pflanzen- und Vogelfreunde werden aber zum Beispiel auf der Halbinsel Zudar, die den südlichen Abschluss Rügens bildet, auf ihre Kosten kommen. Gleiches gilt für die einsam westlich vor Rügen vorgelagerte Insel Ummanz. Das landschaftliche Bild ändert sich, sobald man sich dem Zentrum und dem Osten Rügens nähert. Eine typische eiszeitliche Hügellandschaft mit zahlreichen Wäldern kündigt an, dass sich hier an jeder Straßenbiegung unerwartete Ausblicke in eine von Wasser, Dünen und Wäldern geprägte Kulturlandschaft bieten können.
Mönchgut und die Granitz
Einen ersten Höhepunkt dieser Landschaftsformen bietet die Halbinsel Mönchgut, die ihren Namen im Mittelalter erhielt, als der Landstrich in den Besitz des Zisterzienserklosters Eldena bei Greifswald überging. Die zerklüftete Küstenlinie bildet zahlreiche tiefe Buchten aus, zwischen die sich für eine Ostsee-Küstenregion geradezu steile Hügel wie die Zickerschen Berge schieben. Von ihnen hat man einen unbeschreiblichen Ausblick auf das blaue Wasser, kleine Häfen und die reetgedeckten Dächer der Dörfer wie Groß-Zicker oder Middelhagen. Zur Seeseite hin wird der feinsandige Strand von einem Dünenstreifen mit Kiefernwäldern begleitet. Das Mönchgut und das nordöstlich anschließende Waldgebiet Granitz mit ihrem dichten Buchen- und Eichenbestand sind zweifelsohne für viele – so auch für uns – die attraktivste Ecke Rügens.
Für Wanderungen und Fahrradtouren der besonderen Art eignet sich der gesamte Küstenstreifen zwischen dem Selliner See, der Granitz, dem Neuensiener See und dem Waldgebiet Goor bei Putbus bzw. Lauterbach. Unser Geheimtipp in dieser Region ist das am Greifswalder Bodden gelegene, verträumte Dorf Groß Stresow mit seinen zahlreichen Reetdachhäusern und unzähligen Großsteingräbern im unmittelbaren Umfeld. Das Gebiet ist das Revier des Rasenden Rolands, einer dampflokbetriebenen Schmalspureisenbahn. Er verkehrt mit maximal 30 km/h zwischen dem Badeort Göhren auf dem Mönchgut und dem Fischerdorf Lauterbach und ist eine Attraktion, die wir unbedingt jedem empfehlen möchten. Auch die Fahrradmitnahme ist für eine kombinierte Fahrt aus Bahn und Rad möglich. Uns begleitete das Signalhorn der Dampflok täglich bis in den tiefen Abend hinein. Aus den Wäldern dröhnte es wie ein alter Drache, der sich mühevoll die Hügel hochschiebt.
Boddenlandschaft
Rügen ist geprägt von unzähligen Bodden, die die Inselmasse insbesonders im Norden zerteilen und vielfach nur noch schmale Landzungen und Nehrungen stehen lassen. Letztere zeigen sich besonders reizvoll mit ihren feinsandigen Stränden und kieferbewachsenen Dünengürteln. Die Schmale Heide an der Prorer Wiek und die Schaabe sind zwei dieser Nehrungen. Die erste zieht sich von der Granitz über Binz und Prora Richtung Norden zur Halbinsel Jasmund, die zweite – an die Jasmunder Halbinsel anschließend – von Glowe gen Nordosten bis Juliusruh, wo sie in die Halbinsel Wittow übergeht. Es ist der ideale Ort, um einen Baumwipfelpfad zu betreiben. Das Exemplar bei Prora am Naturerbe Zentrum Rügen wartet mit einer Turmkonstruktion auf, die mit dem Namen „Adlerhorst“ nicht übertreibt. Wir können einen Aufstieg, der im Übrigen barrierefrei über lange, im Kreis geführte Rampen erfolgt, wärmstens empfehlen. Der Ausblick über die Boddenlandschaft ist atemberaubend!
Die hinter den Nehrungen gelagerten Wasserflächen sind der Kleine Jasmunder Bodden und der Große Jasmunder Bodden. Sie sind bei Lietzow durch einen schmalen Durchlauf miteinander verbunden. Letzterer unterteilt sich wiederum in einzelne Abschnitte. Sie sind alle Teil der Nordrügener Boddenkette, zu der dann folgend auch noch der Wieker Bodden zu zählen ist. Wer die Einsamkeit sucht, wird sie an den Boddenufern noch vielfach vorfinden. Oder er nimmt gleich den Weg zur nächsten großen Landzunge, die sich bei Dranske nach Süden von der Halbinsel Wittow absetzt und von Touristen unberührt bleibt. Der Bug, wie sich diese nennt, berührt am Vitter Bodden mit seiner Spitze – dem Buger Haken – annähernd die Insel Hiddensee. Diese faszinierende Wasserlandschaft hat ihre Gestalt durch Strömungen und Verlandungen in den letzten Jahrhunderten immer wieder verändert.
Die Halbinseln Jasmund und Wittow
Die Halbinsel Jasmund zwischen den bereits vorgestellten Nehrungen gehört zu den bekanntesten Reisezielen von Rügen. Grund dafür ist primär der Küstenstreifen mit seinen Kreidefelsen, deren weiße Fläche im Sonnenschein mit dem Blau des Wassers und dem Grün des Buchenwaldes der Stubnitz konkurriert. Die Stubnitz stellt ein rund 3000 Hektar großes Waldgebiet dar, das fast vollständig im Nationalpark Jasmund aufgeht.
Am besten erfährt man dieses einmalige Naturerlebnis auf einer Wanderung auf dem Hochuferweg, die von Sassnitz entlang des Steilufers zur Königin der Kreidefelsen, dem „Königsstuhl“ und weiter bis nach Lohme führt (nützliche Informationen und schöne Impressionen gibt es in diesem Wanderbericht). Bei den zum Teil steilen Auf- und Abstiegen in den gelegentlich kreuzenden Tälern ist eine gute Grundkondition vonnöten. Rund um das zentrale Gebiet, der Stubbenkammer, herrscht meist reges Treiben vor. Ob man sich hier in die Schlange stellt, um für teures Geld auf eine jüngst eröffnete Aussichtsplattform zu gelangen, muss jeder selbst entscheiden. Unsere Priorität hatte es nicht.
Die Halbinsel Wittow ganz im Norden von Rügen ist aufgrund der exponierten Lage dem Wettertreiben der Ostsee im besonderen Maße ausgesetzt. Entsprechend stark weht hier der Wind über das Land, das in großen Teilen von einer weitgehend baumlosen Hochfläche und Steilküsten geprägt ist. Nirgends wirkt Rügen maritimer als hier. Pittoreske Dörfer wie Vitt, Putgarten, Altenkirchen, Wiek oder Breege sowie die Leuchttürme am Kap Arkona sorgen für Abwechslung, die auch diesen Landstrich attraktiv gestaltet. Insbesondere Vitt mit seinen entzückenden Reetdachhäusern und der exponierten Lage in einem zum Meer abfallenden Tal wird als Paradebeispiel eines rügenschen Fischerdorfes regelmäßig von Touristen überrannt.
Hiddensee
Hiddensee ist die kleine Schwester der Insel Rügen und ihr westlich vorgelagert. Sie ist annähernd 17 Kilometer lang und stellenweise nur mehrere Hundert Meter breit – ein Muss für jeden Rügenurlauber! Im Norden hügelig ist die Insel in der Mitte eine Dünen- und Heidelandschaft, ehe sie im Süden in einer flachen Sandfläche (Gellen) ausläuft. Für den Kurzbesucher ist das als Dornbusch bezeichnete nördliche Hügelland zweifelsohne am attraktivsten. Hier ergeben sich auf den zahlreichen Wanderwegen fantastische Ausblicke auf die Boddenlandschaft, Rügen und Hiddensee. Noch Osten fällt das Gelände steil in die Ostsee ab. Überall begegnen uns die typischen Gewächse der Gegend: Sanddorn, Schwarzer Holunder und Schlehe. Höhepunkt ist schließlich der Leuchtturm Dornbusch, der wohl das meistfotografierte Motiv auf Hiddensee darstellen dürfte.
Weniger spektakulär präsentiert sich die Mitte der Insel mit ihren kilometerlangen Stränden, Dünen und Heideflächen. Es ist die grandiose Monotonie und schließlich gen Süden immer einsamer werdende Landschaft, die gerade im August und September, wenn die Heide blüht, ihre größte Anziehungskraft entfaltet. Noch weiter südlich treffen wir auf den Leuchtturm Gellen. Kurz darauf ist für den Wanderer Schluss, denn der letzte Teil des Gellens ist Naturschutzgebiet.
Es existieren nur wenige kleine Dörfer auf Hiddensee, die sich trotz der zahreichen Touristen einen gewissen Grad an Ursprünglichkeit bewahrt haben. Das ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die Insel autofrei ist. Das wiederum führt dazu, dass noch heute in den Orten ein großer Teil der Straßen nicht befestigt ist. Kloster und Vitte stellen die größten und interessantesten Ortschaften Hiddensees dar, wobei man zumindest Kloster mit einer Reihe von Galerien und Cafés in reetgedeckten Häusern einen Besuch abgestattet haben sollte. Im Mittelalter existierte hier ein Kloster, woher das Dorf seinen Namen bekam. Ab dem beginnenden 20. Jahrhundert wurde Kloster zum Wohnort von Künstlern und Schriftstellern. Heute präsentiert es sich als Seebad, Künstlerkolonie, Bauerndorf und Feriendomizil.
Kulturelle Höhepunkte
Putbus
Das kleine Putbus könnte man als einzige Stadt von herausgehobener historischer Bedeutung auf Rügen bezeichnen. Glanzvoll, geradezu mondän präsentiert sich die Residenzstadt mit ihren weißen Fassaden, die eine bemerkenswerte Geschlossenheit aufweisen – ein klassizistisches Ensembles ersten Ranges! Zu verdanken ist diese architektonische und städtebauliche Oase dem Fürsten Wilhelm Malte I. von Putbus. Er baute Putbus ab 1808 zu einer kleinen, aber ansehnlichen Residenzstadt aus. Hierzu gehörten der Umbau des älteren Schlosses und die Schaffung ausgedehnter Parkanlagen mit Orangerie und Marstall. Nördlich des Parks entstand entlang der Alleestraße, der alten Fahrstraße nach Stralsund, eine repräsentative Stadtanlage mit einem Marktplatz, Theater und dem sogenannten Circus. Bei Letzterem handelt es sich um eine groß dimensionierte, kreisrunde Platzanlage mit parkartigem Charakter in seiner Mitte.
Die Residenzstadt bietet einen guten Eindruck der repräsentativen Ansprüche des jungen Aristokraten, der in der neuesten Entwicklung der Architektur auf europäischer Bühne bewandert war. Wichtigster entwerfender Kopf für die Gestaltung von Putbus war der Berliner Architekt Johann Gotffried Steinmeyer. Bei einem Stadtrundgang sollten der Circus, der Theaterbau an der Ecke des Marktes zur Alleestraße, die Orangerie und die Schlosskirche keinesfalls fehlen. Nahe dem Fischerdorf Lauterbach ließ Fürst Malte zudem das bemerkenswerte Badehaus in der Goor errichten, in dessen Rücken damals wie heute das Waldgebiet gleichen Namens zur Verlängerung des Müßiggangs einlädt.
Wer heute allerdings den weiträumigen Putbuser Schlosspark betritt, wird vergeblich nach dem Herzen der Anlage suchen. Das Schloss, das zuletzt 1865 nach einem Brand als neoklassizistische Anlage neu errichtet wurde, ist 1962 auf Geheiß des SED-Regimes ohne Not abgerissen worden und hinterlässt seitdem eine schmerzliche Lücke im Gesamtdenkmal Putbus. Der Förderverein Fürstliches Schloss Putbus ist in der jüngeren Vergangenheit um eine Rekonstruktion bemüht. Bis dahin empfehlen wir, sich in einem der Gartencafés niederzulassen und meine ausführliche Beschreibung des Ortes zu studieren.
Seebäder
Der Weg zur Bäderarchitektur
Das Badehaus in der Goor, das 1819 erbaut und 1824 umgestaltet wurde, war zugleich der Startschuss für die Ausbreitung des Bädertourismus auf Rügen, auch wenn es lange Zeit nur Privilegierten vorbehalten war, in den Genuss von Strandurlaub zu kommen. Die große Zeit der Seebäder begann daher erst gegen 1880, als aufgrund der gesellschaftlichen Wandlungen der Fremdenverkehr aufblühte. Auf Rügen waren dies vorrangig Binz, Sellin, Göhren und auch Sassnitz, allesamt an der Ostküste der Insel gelegen. In die Jahrhundertwende fällt der Höhepunkt der Bäderarchitektur, die sich meist durch villenartige Bebauung auszeichnet. Die häufig in weiß gestrichenem Holz gehaltenen, reich verzierten Loggien und kleine Ecktürmchen wurden zum Markenzeichen der Orte. Der Gestaltungsvielfalt und dem Stilpluralismus waren dabei kaum Grenzen gesetzt. Diese Loggiahäuser sind noch vielfach erhalten und prägen bis heute die Ortsbilder.
Binz
Das bedeutendste und größte Seebad auf Rügen ist zweifelsohne Binz. Der Ort wurde 1884 offiziell zum Badeort erhoben. Heute hat diese Beliebtheit leider zur Folge, dass sich hier in den Sommermonaten wahre Menschenmassen durchschieben. Trotzdem sollte man die Bäderbauten, die in Binz einen regelrechten Rausch zu feiern scheinen, nicht einfach links liegen lassen. Eine derartige Fülle prachtvoller Bäderarchitektur, die teilweise unter Denkmalschutz steht, findet man nur selten. Insbesondere an der Strandpromenade, an der auch das imposante, 1908 errichtete Kurhaus steht, reihen sich beiderseits der Seebrücke unzählige Kostbarkeiten der Baukunst der Jahrhundertwende.
Ferner finden sich weitere stattliche Exemplare der Bäderarchitektur in den Straßenzügen Hauptstraße, Schillerstraße oder Heinrich-Heine-Straße, die dem Ort eine geradezu mondäne Atmosphäre verleihen. Abseits dieses zentralen Bereichs hat es uns die Putbuser Straße nahe dem beschaulichen Kurpark angetan. Wer dem großen Rummel ausweichen möchte, ist hier wie übrigens auch am nicht weit entfernten Schmachter See gut aufgehoben. An Letzterem laden eine kleine Promenade und ein Steg mit Seeblick zum Durchatmen ein. Wem das noch immer zu viel ist, kann mit dem Rasender Roland entfliehen, denn Binz ist zudem Station an der Kleinspurbahn.
Sassnitz
Obwohl oder gerade weil der Badebetrieb in Sassnitz bereits um 1835 begann, entwickelte sich der Ort (seit 1957 Stadt) auf der Halbinsel Jasmund abweichend von den anderen Seebädern. Neben dem wichtigen Badebetrieb erlangte Sassnitz um 1900 eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung durch den Ausbau des Hafens, den Anschluss an das Eisenbahnnetz und die Aufnahme des Fährbetriebs nach Trelleborg in Schweden. Diese Strukturen spiegeln sich auch heute noch im Stadtbild wider. Die alte Bäderarchitektur ist in dem geschäftigen Städtchen zurückgedrängt auf Straßenzüge, die entdeckt werden wollen. Das touristische Leben spielt sich heute primär am Hafen und an der anschließenden Promenade ab.
Alt Sassnitz würde man dagegen nur schwer lokalisieren, wenn nicht einige am Hang errichtete Hotelkomplexe mit gewaltigen Loggien den Weg weisen würden. Am besten erkundet man die kopfsteingepflasterten Gassen, indem man sich am Nordende der Strandpromenade bergauf richtet. Durch die Bachpromenade erreichen wir den kleinen, gemütlichen Markt mit einigen hübschen Fassaden, der so etwas wie Altstadtatmosphäre aufkommen lässt. Auch in der parallel verlaufenden Rosenstraße treffen wir auf stattliche Bäderarchitektur.
Sellin und Göhren
Nicht ganz so trubelig geht es in Sellin zu, das sich um 1880 zu einem mondänen Badeort entwickelte. Die auf den Strand zuführende Wilhelmstraße steht mit ihren Villen so manchem Straßenzug in Binz in ihrer Prachtentfaltung in nichts nach. Der unbestrittene Höhepunkt erwartet uns aber erst, nachdem wir das Ende der Straße erreicht haben und der Blick durch das unvermittelt abfallende Steilufer freigegeben wird. Unter uns breitet sich ein weiter, feinsandiger Strand aus, von dem die mehrere hundert Meter lange Selliner Seebrücke ins Wasser führt. Das Außergewöhnliche sind ihre vielgliedrigen Aufbauten, die sie zu einem der beliebtesten Fotomotive Rügens machen. Ein erstes Bauwerk mit über 500 Metern Länge und einem Restaurant entstand hier 1906, musste allerdings nach Sturmschäden immer wieder erneuert werden. Auch heute bietet die Selliner Seebrücke wieder ein gastronomisches Angebot. Kann es einen besseren Ort geben, einen Abend auf Rügen ausklingen zu lassen?
Über das wenig spektakuläre kleine Seebad Baabe geht es weiter nach Göhren auf dem Mönchgut. Hier erscheint vieles etwas beschaulicher – zumindest, wenn man die anderen Badeorte als Maßstab ansetzt. Der Ort ist durch das Steilufer landschaftlich äußerst reizvoll in Ober- und Unterstadt geteilt und strahlt eine gewisse Gemütlichkeit aus. Gelegentlich treffen wir auf Bäderarchitektur. Im Zentrum stoßen wir auf eine Museumshofanlage, die fast schon deplatziert in der umgebenden Bebauung wirkt. Ein weiteres Reetdachhaus im Ort beherbergt das Heimatmuseum. Mit dem Rookhus verfügt Göhren zudem über eines der ältesten Häuser auf Rügen aus der Zeit um 1720. Es diente Kleinbauern, Tagelöhnern und Fischern als Wohnstätte. Nicht zuletzt ist das Seebad ein hervorragender Ausgangspunkt für die Erkundung der Insel mit dem Rasenden Roland, der hier je nach Sichtweise seinen Start- oder Endbahnhof hat.
Kirchen, Schlösser und Herrenhäuser
Der Kirchenbau im Fürstentum Rügen
Rügen ist eine Insel der mittelalterlichen Kirchen. Fast jedes Dorf verfügt über einen stattlichen Sakralbau, meist aus Backstein, seltener in Feldsteinbauweise. Die ungewöhnliche historische Konstellation führte bereits im 12. Jahrhundert dazu, dass herausragende Backsteinbauten entstanden, die stilistisch dem dänischen Einfluss zuzurechnen sind und zu den frühesten aus Ziegeln errichteten Kirchen im Ostseeraum zu zählen sind. Seit 1168 gelangte das slawische Fürstentum Rügen unter dänische Herrschaft. Damit gelangte auch das Christentum mit seiner dichten Pfarrorganisation auf die Insel. Rügen unterstand kirchenrechtlich dem Bistum Roskilde. Als zentrale Stätte der Christianisierung entstand unter Fürst Jaromar I. in Bergen Ende des 12. Jahrhunderts ein Benediktinerinnenkloster. In der Marienkirche stecken noch heute bedeutende Reste dieser frühen Anlage, die vorrangig aufgrund ihrer Kapitell- und Sockelformen engste Verwandtschaft zu den frühen dänischen Backsteinbauten auf Seeland aufweist.
Weitere romanische Backsteinkirchen stehen in Altenkirchen, Schaprode und Sagard, wobei primär Altenkirchen einen Besuch wert ist. Der Chor mit seinen Schmuckfliesen gehört zur besten Baukultur, die diese Zeit hervorgebracht hat. Auffällig ist vor allem der plastische Palmettenfries am Sockelprofil. Gotische Sakralbauten unterschiedlichen Anspruchs entstanden in der Folge in zahlreichen Orten und Dörfern. Unter vielen anderen sind die Pfarrkirchen von Altefähr, Garz, Gingst, Lancken-Granitz, Neuenkirchen, Rambin, Trent, Vilmnitz oder Wiek zu nennen. Romantisch auf einer Anhöhe liegt die Dorfkirche in Bobbin, die als eine der wenigen Feldstein als Baumaterial aufzuweisen hat.
Schloss Granitz
Noch größer ist das Spektrum an Bausubstanz unter den Schlössern, Guts- und Herrenhäusern auf Rügen. Künstlerisch herausragend ist dabei ein relativ junger Schlossbau: das Jagdschloss Granitz. Es liegt erhöht in den ausgedehnten Waldgebieten der Granitz. Es ist kein Geringerer gewesen als der bereits erwähnte Fürst Wilhelm Malte I. von Putbus, der sich hier aus dem Tempelberg in den Jahren 1837 bis 1846 ein repräsentatives Domizil für seine Jagdausflüge errichten ließ. Der monumentale Baukörper mit seinen vier zinnenbekrönten Ecktürmen und dem zentralen Turmkörper, der selbst die hohen umstehenden Laubbäume überragt, bewegt sich zwischen englischem Tudorstil und italienischen Kastellen der Renaissance. Höhepunkt der sehenswerten Innenausstattung, die sich im Rahmen eines Museumsbesuchs erkunden lässt, ist gewiss die gusseiserne Wendeltreppe, die lediglich auf Konsolen aufsetzend den Mittelturm erschließt. Wer schwindelfrei ist, sollte sich dieses Erlebnis und den Ausblick nicht entgehen lassen.
Von den weit über 100 Schloss- und Gutsanlagen auf Rügen sind viele in der DDR-Zeit verschwunden oder verfallen. Manche existieren noch als Ruine, als echte Lost Places. Sie hier halbwegs vollständig zu würdigen, ist nicht möglich. Daher seien nur einige besonders ansehnliche erwähnt: Schloss Spyker und Schloss Ralswiek liegen beide nahe des Großen Jasmunder Boddens und dienen heute wie viele andere herrschaftliche Bauten als Hotel. Erwähnenswert sind auch die Gutshäuser Udars, Venz, Reischvitz, Boldevitz, das Herrenhaus Neddesitz oder das Jagdschloss Karnitz. Bei vielen von ihnen reichen die Wurzeln bis ins Mittelalter zurück, auch wenn die Bauten selbst neuzeitlich sind. Es bietet sich wie bei den Dorfkirchen eine mehrtägige Entdeckertour für Schlossliebhaber an.
Prora
Kehren wir noch einmal auf die Nehrung nördlich von Binz zurück. Hier an einem der schönsten Strandabschnitte Rügens entstand mit dem Seebad Prora in der Zeit zwischen 1936 und 1939 mit ursprünglich rund 4,5 km Länge das größte je errichtete Gebäude des Nationalsozialismus in Deutschland. Der Komplex – treffend als „Koloss von Prora“ bezeichnet – war das Produkt der ideologischen Durchdringung der Arbeiterschaft im NS-Staat zum Zwecke der Verfestigung einer „Volksgemeinschaft“. Mit 20.000 Betten sollte es den Mitgliedern der „Deutschen Arbeiterfront“ (DAF) einen Urlaubsort mit straff organisierter Form der Freizeitgestaltung bieten.
Obwohl niemals fertiggestellt und in Betrieb gegangen, ist es ein Fanal für den nationalsozialistischen Größenwahn, der bei unserem Besuch bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Dazu trägt auch das Dokumentationszentrum Prora bei, das eine detailreiche Übersicht in die Entstehungsgeschichte und spätere Nutzung des Komplexes gewährt. Besonders aufschlussreich ist in der Dauerausstellung „MACHTUrlaub“ der intensive Einblick in das System, das die ideologische Grundlage für die Entstehung des Seebades lieferte.
Rügen zwischen Kommerz und Entdeckungstouren
Wie soll man diese so vielfältige Insel in einigen Worten zusammenfassen? Letztlich wird man ihr nicht gerecht. Rügen bietet viel für Naturliebhaber. Gleichzeitig lässt sich jede Tour mit kulturellen Höhepunkten verbinden. Rügen bietet alles für gediegenen Strandtourismus. Gleichzeitig können sich Individualisten über einsame Landstriche freuen – vorausgesetzt, man weiß, wo man sie zu suchen hat. Es ist diese Ambivalenz, die den Charakter der Insel ausmacht. Nahe der touristischen Hotspots ist uns die Kommerzialisierung der Natur und Kultur besonders negativ aufgefallen. In manchen Gegenden findet man kaum ein Dorf, kaum einen noch so versteckten Strandabschnitt, wo kein Parkplatz mit überteuerten Gebühren den Gemeinden Geld in die Kasse spült. Selbst am Dokumentationszentrum Prora ist eine stolze Summe für das Abstellen des Fahrzeuges zu entrichten. Sollte nicht gerade hier der wichtige Bildungsauftrag Vorrang haben? Wohl denjenigen, die mit dem Fahrrad unterwegs sind!
Und was nehmen wir noch von der Insel mit? Sanddorn – die Zitrone des Nordens – natürlich! Rügen ist die Insel des Sanddorns, der auch aufgrund seiner gesunden Eigenschaften und des leckeren Geschmacks zu unzähligen Produkten verarbeitet wird, von denen man als Tourist an jeder Ecke zu entsprechenden Preisen erschlagen wird. Unser Tipp zum Abschluss: Lasst euch nicht betören und haltet vielleicht auf dem Rückweg kurz vor dem Verlassen der Insel an der „Alten Pommernkate“ in Rambin. In dem Bauernmarkt und Hofcafé bekommt ihr alles, was typisch für Rügen ist und was das Herz begehrt.
Danke für den kleinen Reiseführer !Ich liebe Rügen.Immer wieder entdecke ich etwas Neues Schönes auf der Insel.
Auch wenn der Artikel recht lang geworden ist, kann er nur einen groben Überblick bieten. Wie du schon richtig sagst, gibt es so viele Kleinigkeiten auf der Inel zu entdecken, die in so einem Text gar keinen Platz finden können. Gerne hätte ich die sakrale Baukunst intensiver behandelt.
Ausführliche Blogartikel gibt es zu Putbus (https://www.zeilenabstand.net/putbus-klassizistische-residenzstadt-auf-ruegen/) und Prora (https://www.zeilenabstand.net/prora-kdf-seebad-und-ns-architektur-auf-ruegen/).