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NS-Architektur und Größenwahn
Die Prorer Wiek zwischen Sassnitz und Binz ist einer der schönsten Strandabschnitte Rügens. Und doch ist es ein dunkler Ort, ein ideologischer Trümmerhaufen, der sich hier zwischen Strandidylle, Dünen und Kiefernwäldern versteckt. Das 1936 bis 1939 errichtete Seebad Prora stellt mit ursprünglich rund 4,5 km Länge das größte je errichtete Gebäude des Nationalsozialismus in Deutschland dar. Der Komplex – treffend als „Koloss von Prora“ bezeichnet – war das Produkt der ideologischen Durchdringung der Arbeiterschaft im NS-Staat zum Zwecke der Verfestigung einer „Volksgemeinschaft“. Mit 20.000 Betten sollte es den Mitgliedern der „Deutschen Arbeiterfront“ (DAF) einen Urlaubsort mit straff organisierter Form der Freizeitgestaltung bieten.
Obwohl niemals fertiggestellt und in Betrieb gegangen, ist Prora ein Fanal für den nationalsozialistischen Größenwahn, der bei unserem Besuch bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Dazu trägt auch das Dokumentationszentrum Prora bei, das eine detailreiche Übersicht in die Entstehungsgeschichte und spätere Nutzung des Komplexes gewährt. Besonders aufschlussreich ist in der Dauerausstellung „MACHTUrlaub“ der intensive Einblick in das System, das die ideologische Grundlage für die Entstehung des Seebades lieferte.
Die „Volksgemeinschaft“ als ideologischer Hintergrund
Als 1933 die Gewerkschaften verboten wurden, trat die staatlich geführte DAF als Zwangsorganisation an ihre Stelle. Dabei handelte es sich aber nicht um eine Interessenvertretung der Arbeiterschaft. Vielmehr wurden damit die Aufgaben eines Kontrollorgans verfolgt, das bis zur untersten Betriebsebene auf ihre Mitglieder Einfluss nahm. Ihr Reichsleiter Robert Ley unterstand Hitler persönlich. Die DAF diente zudem als Stärkung der „Volksgemeinschaft“, die sich im nationalsozialistischen Ideal einer rassereinen, klassenlosen Gesellschaft zeigt. Das Konstrukt sollte Gefolgschaft, Gehorsam, Unterordnung und Führergläubigkeit stärken.
Ein wichtiges Instrument der Systemstabilität war der Einfluss auf die Freizeit- und Urlaubsgestaltung der Menschen. Für diese Art der sozialen Demagogie diente die Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF), die als Freizeitorganisation der DAF gegründet wurde. Sie bot als Schwerpunkt Tages- und Wochenendfreizeiten an. Ab Mai 1934 wurden vor allem Seereisen zum Propagandaschlager, auch wenn sich diese nur wenige leisten konnten. Zwar blieb die Illusion einer klassenlosen Volksgemeinschaft unerreicht, doch wurde das Wir-Gefühl durch die zahlreichen Angebote gestärkt. In diesem Kontext ist auch die Idee der KdF-Seebäder zu sehen, von denen insgesamt fünf entlang der Ostseeküste geplant waren. Umgesetzt werden konnte – wenngleich nie fertiggestellt – nur Prora.
Im größeren Rahmen gedacht war die geschlossene Gemeinschaft eine Grundvoraussetzung, um auch in Krisenzeiten politisch zu bestehen. Wir können darin bereits die Einschwörung des Volkes auf den kommenden „totalen Krieg“ beobachten. Ley selbst stellte diese Verbindung in einer Rede zur Gründung der KdF im November 1933 her, wobei er den konkreten Bezug zum Krieg nicht in den Mund nimmt:
Über allem steht das Wort des Führers und damit auch seine Aufgabe, die er uns gab: Wie erhalten wir dem Volk die Nerven – in der Erkenntnis, dass man nur mit einem nervenstarken Volk Politik treiben kann.
Die Baugeschichte des KdF-Bades Rügen
Obwohl letztlich in Prora niemals Urlauber übernachteten, konnte das Projekt propagandistisch punkten. Allein die Aussicht auf kommende Urlaubsreisen, um der prekären Alltagssituation zu entfliehen, hat dank der medialen Unterstützung Begeisterung in der Arbeiterschaft hervorgerufen. Entsprechend hoch war die Priorisierung des Vorhabens bei der NS-Führung. Erste Architekturentwürfe existierten bereits 1935, noch bevor im Folgejahr ein offizieller Wettbewerb gestartet wurde. Als Sieger ging der Architekt Clemens Klotz hervor, allerdings mit der Auflage, die Ideen für eine zentrale Festhalle von Erich von Putlitz zu integrieren.
Der Plan sah parallel zum Strand verlaufende kilometerlange Trakte mit den Unterkünften vor, deren Zimmer alle seeseitig ausgerichtet waren. Erschlossen wurden die Gebäude über kammartig angelegte kleine Quereinheiten auf der Landseite. Alle 500 Meter sollte ein riegelartiger Flügel bis zum Strand führen. Diesen waren vorwiegend Versorgungsfunktionen zugedacht. In der Mitte der Gesamtanlage war ein Festplatz mit Wasserbecken und der monumentalen Festhalle in neoklassizistischer Architektursprache vorgesehen. Der Neoklassizismus war im Nationalsozialismus eine gern eingesetzte, repräsentative Machtarchitektur. Die Pläne und Entwürfe erfuhren während der Bauarbeiten allerdings mehrere Veränderungen und Anpassungen.
Fremdnutzung und Ausblick
Bis 1939 waren die Unterkünfte und die Platzrandbebauung des zentralen Festplatzes fertiggestellt, bevor die Bauarbeiten mit Kriegsbeginn eingestellt wurden. Die Baufirmen wurden für kriegswichtige Bauprojekte abgezogen. Während des Krieges diente Prora als Ausbildungsort für Polizeibataillone, die in den besetzten Kriegsgebieten zum Einsatz kamen. Sie waren vorrangig in Osteuropa an Kriegsverbrechen beteiligt. Nach 1945 ist der Komplex der militärischen Nutzung zugeführt worden. Zunächst waren hier Truppenteile der Sowjetunion stationiert, wobei es zu Demontagen und Abrissen kam. Danach folgten die „Kasernierte Volkspolizei“ (KVP) und die „Nationale Volksarmee“ (NVA) der DDR. Seit der Wende ringt man um ein nachhaltiges Nutzungskonzept. Trotz Denkmalschutz durften private Investoren mittlerweile den größten Teil der Anlage zu modernen Wohnungsbauten umgestalten. Eine Jugendherberge existiert ebenfalls.
Auf uns wirkte dieser unwirkliche Ort wie ein historisches Relikt voller Widersprüche, das zwischen seiner Geschichte und den dringend notwendigen Veränderungen der Gegenwart gefangen ist und um eine nachhaltige Zukunft ringt. Hier ein idyllischer Strandabschnitt, dort im nächsten Moment eine Ruinenlandschaft, die aus dem Wald ragt! Hier die blitzblank polierten Wohneinheiten mit allem Komfort und Gastronomieangebot, dort das Dokumentationszentrum, das wie ein Provisorium in den nackten, neonbeleuchteten Räumen untergebracht ist! Überhaupt hätte das inhaltlich vorbildlich aufgestellte Dokumentationszentrum einen würdigeren Ort in der Erinnerungslandschaft verdient.
Empfehlung: DenkMALProra von Dr. Stefan Stadtherr-Wolter