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Das historische Magdeburg
Magdeburg hatte als Erzbistum in der mittelalterlichen Geschichte eine bedeutende Rolle inne. Mit dem Magdeburger Stadtrecht besaß auch die Bürgerstadt Vorbildwirkung für zahlreiche Stadtgründungen in Mittel- und Osteuropa. Zwei Mal wurde die Stadt an der Elbe verheerend zerstört: im Dreißigjährigen Krieg und im Zweiten Weltkrieg.
Im Dreißigjährigen Krieg brannte die Stadt 1631 bei der Belagerung der kaiserlichen Truppen nieder. Nur die zahlreichen mittelalterlichen Kirchen überstanden die verheerende Feuersbrunst weitgehend unbeschadet. Darunter befanden sich für die Architekturgeschichte wegweisende Bauten wie der Magdeburger Dom – eines der ersten gotischen Sakralbauten auf deutschem Boden – und die Prämonstratenser-Stiftskirche mitsamt dem Kloster Unser Lieben Frauen aus dem 12. Jahrhundert.
Aus dieser Katastrophe erwuchs eine Stadt, deren einheitliches barockes Stadtbild nur wenige Vergleiche scheuen musste. Insbesondere der Breite Weg mit seinen großzügigen Palaisbauten und Bürgerhäusern galt als eine der schönsten Barockstraße Deutschlands. Er verband das Domviertel im Süden mit der Altstadt im Norden und fand mit dem Marktplatz eine ebenbürtige Erweiterung. All diese Pracht ging in den Bombennächten des Zweiten Weltkrieges verloren. Nur eine Handvoll barocker Häuser haben die Zerstörungen überlebt.
Konzepte für den Prämonstratenserberg
Vor diesem Hintergrund ist jeder Versuch, jeder Plan, das verloren Stadtbild Magdeburgs wiederherzustellen, zunächst positiv zu Kenntnis zu nehmen. Ein entsprechendes Konzept kommt von dem ehemaligen Oberbürgermeister Willi Polte und einigen Mitstreitern. Ihre Vision ist es, am Prämonstratenserberg, einem unbebauten Areal zwischen Liebfrauenkloster und Johanneskirche, mit teilweise rekonstruierten Fassaden ein Stück Alt-Magdeburg auferstehen zu lassen.
Zuspruch erhält Polte dabei von ungewohnter Stelle, nämlich von Seiten der Denkmalpflege – wenngleich nicht von der institutionellen. Karl-Heinz Reps, Leiter der Interessengemeinschaft Denkmalpflege im Kultur- und Heimatverein Magdeburg, verweist darauf, dass die Fassaden des Breiten Weges durch eine weit angelegte fotografische Erfassung aus den Jahren 1936 und 1937 hervorragend dokumentiert sind. Zwar sei ihre Rekonstruktion keine Denkmalpflege, entfalte aber eine hohe emotionale Wirkung, argumentiert er. Die Aufenthaltsqualität eines solchen Viertels sei zudem hoch zu bewerten.
Eine andere Vision des Architekten Pakertharan Jeyabalan knüpft an die lokalen Gestaltungstraditionen mit Blockrandbebauung an und zeigt einen Weg für ein mögliches Gesamtkonzept der Stadtreparatur. Seine Zeichnungen (die Abbildung zeigt den Ausschnitt für den Prämonstratenserberg) spielen mit einer kleinteiligen Bebauung, die verschieden Quartiere zu einer Einheit verbinden, und die Magdeburger Altstadt wieder als ein geschlossenes Gefüge erfahrbar machen. Bedauerlicherweise sind seine Ideen bereits vor einigen Jahren von der Stadt zwar weitgehend positiv bewertet, aber als unrealistisch verworfen worden.
Stadtreparatur oder Kulissenarchitektur?
Meine eigene Einstellung zu dem Vorschlag von Polte ist dagegen ambivalent. Zwar befürworte ich generell Rekonstruktionen, doch geht mir die translozierende Rekonstruktion von historischen Versatzstücken, wie hier am Prämonstratenserberg in Magdeburg vorgeschlagen, einen Schritt zu weit. Gebäude werden damit aus ihrem ehemaligen historischen und städtebaulichen Kontext gerissen und verkommen vollends zur beliebigen Kulisse. Ein solches Vorgehen kann im Vergleich mit Rekonstruktionsprojekten wie der Frankfurter Altstadt qualitativ nicht mithalten. Da ist der von Rekonstruktionsgegnern oft abschätzig verwendete Begriff von „Disneyland“ dann doch nicht mehr so fern, zumal Poltes Entwurf wie eine isolierte Insellösung wirkt, die das Umfeld nicht in ein Gesamtkonzept für die Magdeburger Innenstadt einbezieht. Darüber hinaus wird damit eine Rekonstruktion am ursprünglichen Ort für sehr lange Zeit unmöglich gemacht.
Doch welche Alternativen stehen der Stadt Magdeburg für die nicht nur in diesem Bereich dringend notwendige Verdichtung und Stadtreparatur zur Verfügung? Ein Wohnquartier mit einer Architektur aus Kuben und Glas, wie sie von dem Architektenbüro Duong & Schrader vorgeschlagen wird, empfinde ich für ein innerstädtisches Areal in unmittelbarer Nachbarschaft zu überregional bedeutenden Traditionsinseln wie dem Kloster Unser Lieben Frauen als deplatziert. Aber solch gesichtslosen Planungsspiele lassen die Ideen von Polte und seinen Mitstreitern dann doch an Attraktivität gewinnen.
Appell an die Denkmalpflege
Generell und unabhängig vom Magdeburger Fallbeispiel möchte ich abschließend einen Appell verfassen: Ich würde mir wünschen, dass die Positionen der institutionellen Denkmalpflege gegenüber Rekonstruktionen seltener dogmatisch ablehnend erscheinen. Neben dem Schutz der überlieferten Originalsubstanz sollte der Ensembleschutz stärker in den Fokus gerückt werden. Und dort, wo diese Ensembles erhebliche Verluste erlitten haben oder gar zerstört worden sind, muss eine optische Instandsetzung unter bestimmten Bedingungen in Betracht gezogen werden. Als entscheidende Kriterien sollten dabei die Originaltreue und die wissenschaftliche Begleitung eines solchen Projektes dienen.
Allerdings scheint das Magdeburger Projekt am Prämonstratenserberg zu meinem Bedauern genau an diesem Punkt seine Schwächen zu offenbaren. Originaltreue kann meiner Ansicht nach nicht erzielt werden, wenn Fassaden beliebig aus ihrem Kontext gerissen werden und an Baukörpern an anderen Orten frei zu einem neuen, historisch nie belegten Ensemble kombiniert werden.
Sehr geehrter Herr Kaufmann,
die barocke Pracht des Breiten Weges ist nur zu einem ganz geringen Teil in den Bombennächten des zweiten Weltkriegs untergegangen. Der weitaus größere Teil ist bereits vorher in der Gründerzeit und um die Jahrhundertwende verloren gegangen. Er musste größeren, eine höhere Rendite bringenden Gebäuden weichen. Allenfallls wurden in den Bauten noch Zitate oder Anklänge an den Barock verwendet.
Gern können wir uns über die Vergangenheit und vor allem die Zukunft des Breiten Weges und der Innenstadt „unterhalten“.
Herzliche Grüße
Sehr geehrter Herr Wähnelt, es ist zwar richtig, dass der Breite Weg vor allem zur Jahrhundertwende seine Gestalt als barocke Prachtstraße des 17. Jahrhunderts verändert hatte, dennoch existierten bis zu den Bombennächten noch unzählige gut erhaltener barocker Bürgerbauten, teilweise allerdings verändert und überformt.
Eine sehr ausführliche Dokumentation findet sich hier: https://www.magdeburg.de/media/custom/37_13575_1.PDF?1408696226
Ich habe den Eindruck, der Autor hat sich mit dem wort „translozierend“ vertan –
das lateinische Wort kommt vom „Ort“, und würde bedeuten, daß die Häuser mal woanders gestanden hätten?
Haben sie wohl aber nicht – er meint wohl, daß die Gebäude zu einer anderen Zeit dort standen – aber das ist ja eine Binse, und keineswegs ein Kritikpunkt.
Nein, ich habe „transloziert“ hier ganz bewusst mit „Rekonstruktion“ verbunden, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass mit der Rekonstruktion auch der Standort gewechselt hat. Und das ist in diesem Fall auch absolut korrekt, denn die zu dem Zeitpunkt meines Artikels angedachten Rekonstruktionsbauten standen ursprünglich am Breiten Weg. Das sollte doch bei der Lektüre meines Artikels deutlich geworden sein.
Leider ist Magdeburg immer noch eine graue Stadt voller hässlicher Betonblöcke, vor allem in der Innenstadt. Wir brauchen schöne Architektur in Magdeburg und Wiederaufbauprojekte wie in Dresden und Potsdam.
Mir scheint, die Ausgangslage in Magdeburg ist ungleich schwerer als in Dresden oder Potsdam. Zudem hat man ja die Chance, zumindest die Ulrichskirche zu rekonstruieren, durch einen Bürgerentscheid eine Absage erteilt. Die Magdeburger habe da ihre eigene Entscheidung getroffen.