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Schlossaneignung: Richtungsstreit am Berliner Schloss

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Berliner Schloss um 1947
Beschädigtes Berliner Stadtschloss, um 1947

Die Initiative Schlossaneignung

Philipp Oswalt, Archivtheoretiker an der Universität Kassel, ist bekanntlich einer der schärfsten Kritiker des wiederaufgebauten Berliner Schlosses und von originalgetreuen Rekonstruktionen. Sein jüngstes Buch „Bauen am nationalen Haus – Architektur als Identitätspolitik“ habe ich bereits ausführlich rezensiert. Mit dem Titel und der Domain Schlossaneignung.de ging nun die nächste Initiative gegen die barocken Fassaden des museal als Humboldt-Forum genutzten Baus im Zentrum Berlins an den Start. Unter den Initiatoren finden sich Architekten, Journalisten, Historiker und Kuratoren. Ein prominentes Mitglied sticht heraus: der Historiker Jürgen Zimmerer, renommierter und von mir geschätzter Kollege, der sich vorrangig mit der Erforschung der Kolonialgeschichte – speziell der deutschen – einen Namen gemacht hat.

Aber blicken wir zunächst auf die Ziele und Motive der Initiative. Der vom Deutschen Bundestag mit den drei historischen Fassaden beschlossene Wiederaufbau des Schlosses ist hinsichtlich der rekonstruierten Teile mit Spenden finanziert worden. Unter den Tausenden Spendern sind – von Oswalt publik gemacht – auch einzelne Spender aus dem rechten Milieu zu finden. Wilhelm von Boddien, Vorsitzender des Fördervereins Berliner Schloss, hatte seinerzeit auch in rechtspopulistischen Medien für das Projekt geworben. Die Vorwürfe, die von Oswalt und seinen Mitstreitern auf schlossaneignung.de gemacht werden, sind weitreichend. Von einer Radikalisierung der Symbolbedeutung und einer Kulturrevolution mit Preußen ist dort die Rede. Der Stiftung Humboldt Forum wird Versagen in Form von Vertuschung, Beschönigung und Leugnung der Problematik vorgehalten.

Der Ideenaufruf

Aus dem Vorwurf, die Fassaden des Schlosses würden die Geschichte des Ortes verdrängen, ergeben sich die Forderungen. Es geht darum, Spuren der Zerstörung – dabei listet man selbst mittelalterliche Ereignisse auf – wieder sichtbar zu machen. Man möchte die komplexe Geschichte des Ortes wieder erlebbar machen. In einer Videobotschaft auf der Website der Initiative lastet Zimmerer den barocken Fassaden an, den Holocaust zu überspringen, und sieht das Schloss gar in antidemokratischen Händen.

Ein Ideenaufruf soll dazu dienen, Kampagnen mit diesem Ziel zu entwickeln. Die Illustrationen, die man dabei an die Hand gibt, lassen allerdings die Befürchtung aufkommen, dass man selbst Teileinrisse des gerade erst nach Jahrzehnten Planung und Bau fertiggestellten Gebäudes nicht ausschließt. Und der Ideenaufruf bestätigt dies, wenn darin auch von „permanenten, physischen Formen der Intervention“ die Rede ist. Die bisherigen Debatten haben aufgezeigt, dass es gute Gründe gibt, am wiederaufgebauten Berliner Schloss Kritik zu üben. Diese Initiative läuft aber Gefahr, sich in radikalen Forderungen zu verirren. Selbst im WELT-Feuilleton titelt man: „Jetzt drehen die Schlosskritiker wirklich durch“, obwohl der Autor Marcus Woeller Kritik am Berliner Schloss grundsätzlich nachvollziehen kann.

Die Reaktionen

Vorbemerkung

Gleich vorweg, damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich bin gegenüber historischen Rekonstruktionen sehr aufgeschlossen, allerdings mit der Prämisse einer fundierten wissenschaftlichen Basis. Und ich plädiere dafür, solche Bauten zu kontextualisieren, nicht in Form von Brüchen in der Fassade, sondern auf inhaltlicher Ebene. Erinnerungsorte, Veranstaltungen oder simple Informationstafeln können dazu beitragen, dass die Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird, was der von Deutschland ausgehende Wahn des Krieges bewirkt hat. Insofern gehe ich mit beiden Seiten, den Freunden und den Kritikern des Berliner Schlosses, ein entsprechendes Stück mit.

Vera Lengsfeld

Auf die Reaktionen aus dem Lager der Schlossbefürworter musste man nach der Gründung der Initiative Schlossaneignung nicht lange warten. Sie waren an Schärfe zum Teil schwer zu ertragen, zumal sie überwiegend ad hominem ausgefallen sind. Als direkt benannte Spenderin konterte zunächst die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld – sie hatte in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten Kurs durch alle politischen Lager vollzogen – auf Oswalts Anschuldigungen gegen ihre Person. In ihrer – menschlich vielleicht nachvollziehbaren – Polemik lässt sie sich dazu hinreißen, den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel infrage zu stellen und Bundesministerien Stasi-Methoden zu unterstellen. Ihr Fazit zu Oswalts Ausführungen:

Für mich ein jämmerliches, kontaktschuldtriefendes, im Geiste undemokratisches, in der Tendenz faschistoides, von idiotischen Negativframes („Leugnung“, „querdenken“, „Sympathisant“) überladenes, unsägliches Machwerk eines Freizeit-Agitators, der besser bei seinem sprichwörtlichen Leisten, der Architekturtheorie, geblieben wäre.

Rekonstruktionsbefürworter

Auf den Portalen und in den Communities, in denen sich Rekonstrukionsfreunde – zu denen ich mich generell auch zähle – austauschen, ging man teilweise noch weniger zimperlich um. Ich verzichte bewusst darauf, Verlinkungen als Quellennachweis zu setzen. Dort liest man von einem „Megaschaden“, den man den „Extremisten“ der Initiative bescheinigt. Ein Diskutant, der sich wenige Tage zuvor als Fraktionsmitglied im Stadtrat einer Landeshauptstadt zu erkennen gab, bezeichnet Zimmerer öffentlich als „quartalsirre“ und gibt ihm eine Mitschuld an Gewalt und Antisemitismus an angloamerikanischen Universitäten. Weiter urteilt er über Zimmerers Forschungen, sie würde vor Ideologie triefen und Propaganda darstellen – Einlassungen und Formulierungen, die man sonst nur vom radikalen Rand des politischen Spektrums kennt. Es ist wohl unnötig zu erwähnen, dass jeder, der in diesem Kreis zur Mäßigung aufruft, in so einer aufgeheizten Atmosphäre selbst zum Feindbild wird.

Letztlich zeigt sich in diesem unsäglichen Disput die gesellschaftliche Spaltung, die immer mehr um sich greift und längst Kreise aus der bürgerlichen Mitte erfasst hat. Ich würde mir daher wünschen, man würde zum Berliner Schloss weniger radikale Stimmen hören. Diese ermüden und trüben den unvoreingenommenen Blick. Denn eigentlich stammt dieses Rekonstruktionsvorhaben aus der Mitte der Gesellschaft, legitimiert durch unser Parlament. Gemäßigte Kräfte und Botschaften dringen aber in dieser Diskussion kaum noch durch – schlimmer noch: Sie werden selbst angefeindet, im schlimmsten Fall von beiden Rändern des Meinungsspektrums. Der Diskurs ist vergiftet, von beiden Seiten!

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