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Zum Farbanschlag auf das Brandenburger Tor

Posted on – zuletzt aktualisiert am 24. Oktober 2023
Brandenburger Tor

Appell

Liebe Klima-Aktivisten, so kann es nicht weitergehen. Ihr verfolgt mit euren Aktionen ein wichtiges und richtiges Ansinnen. Ich denke, bis auf diejenigen, die das Motto „Nach mir die Sintflut“ hochhalten sowie die üblichen Verdächtigen aus dem rechten Spektrum, haben das schon in irgendeiner Weise alle verstanden. Doch ihr seid auf dem besten Wege, diesen moralischen Bonus zu verspielen, wenn ihr unsere Kulturgüter angreift. Zunächst habt ihr Kunstwerke in Museen in den Fokus genommen, nun ist es unser architektonisches Erbe. So sehr ich eure Ziele nachvollziehen kann, so sehr beginne ich spätestens jetzt, eure Mittel anzuzweifeln. Und ich glaube, ich bin nicht der einzige Sympathisant, den ihr auf eurem Weg nach und nach verschreckt und letztlich verliert.

Aktion mit Folgen für das Denkmal?

Für diejenigen, die es noch nicht in den Nachrichten vernommen haben: Die „Letzte Generation“ hat einen Farbanschlag auf das Brandenburger Tor verübt. Leider kristallisiert sich dabei heraus, dass die Farbe so aggressiv ist, dass das Gebäude möglicherweise einen langfristigen Schaden erleiden könnte. Zumindest werden die Reinigungsarbeiten einen fünfstelligen Betrag verschlingen. Zum Sachschaden, der sicher aus der Tasche der Organisation gezahlt wird, kommt wahrscheinlich ein strafrechtliches Verfahren gegen die Beteiligten. Da bewegt sich die Rechtslage parallel zum illegalen Graffiti. Anders sah es übrigens beim Farbanschlag auf das Grundgesetz-Denkmal im Berliner Regierungsviertel vor einigen Monaten aus. Hier kam wasserlösliche Farbe zum Einsatz. Es entstand kein Sachschaden.

Genau an diesem Punkt endet mein Verständnis für solche Aktionen wie am Brandenburger Tor. Dass man eine Beschädigung des Gebäudes in Kauf nimmt, empfinde ich als besonders verwerflich. Man muss Wege finden, öffentlichkeitswirksam und ohne Begehung von Straftaten aufzutreten. Dabei darf man gerne auch Monumente einbeziehen, wenn man sie in dem Zustand hinterlässt, wie vorgefunden. Nun ist es nicht meine Aufgabe, da kreativ zu werden, aber ich bin davon überzeugt, dass dies bei der „Letzten Generation“ nur eine Frage des Willens ist, entsprechende Aktionen auf die Beine zu stellen. Die zunehmende Radikalisierung könnte sonst mittelfristig die gesamte Klimabewegung in Misskredit bringen. Das ist wirklich nicht das, was unsere Gesellschaft und letztlich diese Erde jetzt gebrauchen kann.

Diese Hinwendung zur Radikalisierung ist im Übrigen auch auf der anderen Seite zunehmend spürbar. Für meine Worte, die zwar die Methoden der Aktivisten nicht guthieß, sehr wohl aber deren Ziele, bin ich auf einer Kulturplattform aufs Schärfste angegangen worden. Wie ich als Kunsthistoriker diesen Frevel an einem nationalen Denkmal befürworten könne, warf man mir an den Kopf (obwohl ich dies mit keinem Wort getan habe)! Auch die Forderungen nach Selbstjustiz, härtesten Sanktionen und lebenslanger Haft waren lesbar. Diese Auswürfe sollten aber Anlass genug sein, diesen kleinen Appell zu verfassen. Fanatismus und Schaum vor dem Mund haben noch nie zu Lösungen geführt. Doch sind die kühlen Köpfe in dieser Debatte rar gesät. Was wir brauchen, ist Dialog und nochmals Dialog, keine ideologischen Grabenkämpfe.

Nachwehen

Hedwig Richter zum Nationaldenkmal

Update (19.10.23): Wie nicht anders zu erwarten, gibt es erhebliche Dissonanzen in der Beurteilung und Aufarbeitung der Aktion. Die Reinigungsarbeiten am Brandenburger Tor gestalten sich enorm schwierig und verschlingen wohl eine sechsstellige Summe, also weitaus mehr als ursprünglich angenommen. Zudem haben die Klimaaktivisten mittlerweile mit der Weltzeituhr am Berliner Alexanderplatz das nächste Denkmal ins Visier genommen und ihm eine farbige Fassung verpasst. Egal, wie man zu der Aktion stehen mag, einen größeren Symbolgehalt hätte man kaum wählen können. Die Uhr steht für die Zeit, die der Menschheit noch bleibt, um die Klimakatastrophe auf ein erträgliches Maß zu begrenzen.

Insbesondere die Äußerung der Historikerin Hedwig Richter bei X (ehemals Twitter) sorgten für Kontroversen. Richter urteilte über die Farbattacke auf das Brandenburger Tor:

Ein würdiger Gebrauch unseres Nationaldenkmals. Mir fällt momentan kein besserer ein.

Später ordnete sie ihre Aussage in einen größeren Kontext ein. Als Demokratieforscherin sehe sie die Grundlagen unserer Demokratie durch die Klimakrise bedroht. Und die Wunde, die die Klimaaktivisten dem Brandenburger Tor nun zugefügt haben, sei ein Ausdruck für die Zerstörung der Umwelt durch den Menschen. Den Schutz der Erde möchte sie zu einer bürgerlichen Tugend erklären. Ihre Hoffnungen liegen darin, dass die Aktionen radikalerer Gruppierungen wie der „Letzten Generation“ die Legitimität gemäßigter wie „Fridays for Future“ steigert.

Shitstorms und Stammtischparolen

Für diese Einordnung erntete die Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München einen Twitter-Shitstorm und auch unter die Stadtbildfreunde, deren Sorge naturgemäß dem historischen Architekturerbe gilt, hat sich der Wutbürger gemischt, wobei man Richter unter anderem ein „krankes Gehirn“ bescheinigte. Die Aktivisten als „kriminelle Vereinigung“ und „Klimaterroristen“ zu betiteln, gehört da fast schon zum guten Ton. Gerade letzteres ist in diesen Tagen angesichts des realen Terrorismus in Israel, bei dem Menschen sterben, einfach nur zynisch. Andere wiederum wünschen sich russische Verhältnisse bei der Strafverfolgung oder pflegen Fantasien von lebenslanger Haft und Landesausweisungen. Mein dortiger Appell, trotz der verständlichen Aufregung verbal abzurüsten, ist nicht nur verhallt, er ist sogar innerhalb von fünf Minuten gelöscht worden.

Update (24.10.23): Ein weiterer „Denkmalschützer“ und Klavierstimmer möchte dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann gar vorgeschlagen haben, die Klimaaktivisten und deren Sympathisanten auf unbestimmte Zeit in einer Psychiatrie einzusperren. Welche Antwort er erhalten hat, bleibt freilich offen. Sind das nur dumme Stammtischparolen oder ist das ein ernstzunehmender Versuch, rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft zu setzen? Wenn ich vor Wochen mehr kühle Köpfe, mehr Dialog und weniger ideologische Grabenkämpfe gefordert habe, war dies wohl ein naiver Wunsch. Stattdessen machen sich extremistische Ansichten breit.

2 Kommentare zu “Zum Farbanschlag auf das Brandenburger Tor

  1. Ich verstehe das Anliegen der Klimaschützer, habe aber absolut kein Verständnis für diese oder gleichartige Anschläge auf das kulturelle, nationale und auch Welterbe. Bin in der DDR aufgewachsen, habe 1981 bei der ,,Aktion Wald“ mitgemacht. Da haben wir 10.Klässler damals einen Wald aufgeforstet, habe auch gefühlt hunderte Bäumchen gepflanzt. Diese sind mittlerweile zum stattlichen Wald herangewachsen. DAS ist Klimaschutz, gelebte Nachhaltigkeit. Warum wird das von dieser ,,Letzten Generation“ und ähnlichen selbsternannten Klimaschützern nicht gemacht? Wahrscheinlich mit zuviel Arbeit verbunden…

    1. Vielen Dank für den Kommentar, Axel. Aber seien wir ehrlich. So wunderbar das Pflanzen eines kleinen Wäldchens ist, so wenig wird es die Welt verändern. Und auch wenn wir uns es nicht eingestehen wollen: Es braucht schon einschneidendere Veränderungen, um kommenden Generationen keinen Scherbenhaufen zu überlassen. Insofern bin ich generell dankbar dafür, wenn Menschen den Hintern hochbekommen und der Politik für eine bessere Welt eine Menge Dampf machen, auch wenn ich die Mittel nicht in jedem Fall billige. Und wenn es gegen unser kulturelles Erbe geht, bin ich durch meinen Werdegang natürlich besonders sensibilisiert. Deshalb habe ich mich jetzt auch zu Wort gemeldet, auch wenn ich mich nicht der Illusion hingebe, dass dies bei der Letzten Generation jemand wahrnimmt.

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