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Typologische Differenzierung an Epochengrenzen
Burg oder Schloss? Welches ist die korrekte Bezeichnung und welche Kriterien sind bei der Unterscheidung von Bauwerken dieser beiden Kategorien heranzuziehen? Tatsächlich wird im deutschsprachigen Raum eine typologische Unterscheidung zwischen Burgen und Schlössern vorgenommen, die sich auch architekturhistorisch erklären lässt. Das ist deshalb zu betonen, weil in vielen anderen Sprachen eine solche Differenzierung nicht vorgenommen wird. Man denke nur an castle, château oder castello. Nur das Tschechische kennt die Bezeichnung hrad für eine Burg und zamek für ein Schloss.
Zunächst ist festzuhalten, dass mit beiden Bezeichnungen ein Wohnsitz des Adels angesprochen wird. In der Angehörigkeit des Bauherren zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten ist die Unterscheidung zwischen Burgen und Schlössern also gewiss nicht zu suchen. Es fällt allerdings auf, dass der Sprachwandel sich an den Grenzen von historischen Epochen nachvollziehen lässt. Es ist der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, der aus Burgen Schlösser macht. Wo zuvor romanische und gotische Burganlagen – häufig als Höhenburgen – entstanden, stehen nun Renaissanceschlösser und Schlossanlagen des Barock – nicht selten in der Ebene. Entscheidend ist dabei weniger der Baustil, als vielmehr der Funktionswandel der Adelssitze, der umwälzenden gesellschaftlichen und kriegstechnischen Veränderungen geschuldet ist. Dem wollen wir auf den Grund gehen.
Die Burg des Mittelalters
Tatsächlich ist der Burgenbau des Mittelalters untrennbar mit Herrschaft verbunden, die ausnahmslos von der Aristokratie, also einem elitären kleinen Teil der Bevölkerung, ausgeübt wurde. Diese reichte vom König bzw. Kaiser über die Landesherren, die auch den Klerus, namentlich die Bischöfe, einschloss, bis zum niederen Adel, dem Rittertum. Letzteres entwickelte sich zu Beginn des Hochmittelalters aus der Ministerialität des Reiches und wurde zum verklärten Mythos im Kontext der Burgenromantik, die mit der mittelalterlichen Lebensrealität nur bedingt deckungsgleich ist. Der gepanzerte Ritter zu Pferde und seine Burg sind bis heute Sinnbild des hohen und späten Mittelalters. Ritterturniere und Fehden waren demnach die Bestimmungen dieses Standes. Klangvolle Namen wie Götz von Berlichingen oder Franz von Sickingen standen allerdings bereits für den Abgesang der ritterlichen Kultur an der Grenze zur Neuzeit.
Am Anfang stand die Pfalz der deutschen Kaiser und Könige, wie wir sie aus Aachen, Paderborn, Goslar oder Tilleda bei Sangerhausen kennen. Die Überlieferung ist durch archäologische Nachweise und Überformungen des 19. Jahrhunderts geprägt. Der davon angeregte Burgenbau, deren Höhepunkt vom 11. bis zum 13. Jahrhundert lag, war die architektonische Ausdrucksform von Herrschaft. Es bildete sich ein fester Typ von adligen Burgen heraus, der aber in unzähligen Varianten auftauchte und auch die geografischen Gegebenheiten berücksichtigte. Die Bauwerke mussten nicht nur die wohnlichen Bedürfnisse des Adligen befriedigen, sondern explizit auch eine Wehrfunktion erfüllen. Während die frühen Anlagen einfache Turmburgen und Motten darstellten, nahmen die Befestigungsanlagen der Burgen seit dem späten Hochmittelalter geradezu abenteuerliche Dimensionen an: mehrfache Mauerringe, Zwinger, Bergfried. Von den unzähligen Beispielen mögen hier die Burgen Münzenberg, Burghausen, Querfurt, die Wartburg bei Eisenach oder die Burg Eltz in der Eifel pars pro toto genannt sein.
Mit der Erfindung von Feuerwaffen und Artillerie begannen sich die Kräfteverhältnisse in einer Belagerung seit Ende des 14. Jahrhunderts zu verschieben. Der Burgenbau reagierte darauf mit dickeren Mauern und der Möglichkeit, seinerseits Geschütze aufzustellen. An den Ecken der Mauerringe wurden nun wiw zum Beispiel an der Moritzburg in Halle an der Saale Rondelle errichtet, die diese aufnehmen konnten. Ihre Blütezeit wehrte bis ins 16. Jahrhundert. Mit der veränderten Waffentechnik war aber bereits der Startschuss für den typologischen Entwicklungsprozess von der Burg zum Schloss gegeben.
Zeit des Umbruchs
Das 16. Jahrhundert ist die Zeit des Umbruchs – in vielerlei Hinsicht. Reformation und Humanismus verändern die Weltsicht. Die Renaissance setzt sich auch nördlich der Alpen durch. Im Burgenbau beginnt bereits im 15. Jahrhundert ein allmählicher Funktionswandel, weg von der Wehrhaftigkeit hin zu Repräsentation und Wohnkomfort. Der wichtigste Initialbau auf deutschem Boden ist die 1471 begonnene Albrechtsburg in Meißen, die im Auftrag der wettinischen Kurfürsten entstand. Als Baumeister ist Arnold von Westfalen überliefert. Mit großen Fenstern, repräsentativen, stützenlosen Sälen, einem in Arkaden aufgelösten Treppenturm und vor allem der Anordnung der Räume in Appartements weist der Bau bereits Elemente des Renaissance-Schlosses auf, während die Formensprache noch gänzlich im spätgotischen verhaftet bleibt.
Ebenfalls große Bedeutung für den Schlossbau des nordalpinen Raumes besitzt der ab 1493 von Benedikt Ried erbaute Wladislawsaal auf der Prager Burg. Mit ihm ziehen erste Renaissanceformen in die Adelsarchitektur Mitteleuropas ein. Weiter nördlich ist es die Architektur des aus Schwaben stammenden Jörg Unkair, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts den Umbruch zum neuzeitlichen Renaissance-Schloss vollführt. Er war an den Schlössern Neuhaus bei Paderborn, Detmold und Stadthagen federführend beteiligt.
Auch die Anlagen des niederen Adels vollführten gleichzeitig diesen Funktionswandel. Während die Höhenburgen nach und nach zugunsten eines neuen Bauplatzes aufgegeben wurden, weil die Topografie einer weitgehend regelmäßigen Vierflügelanlage entgegenstand, überbaute oder erweiterte man Niederungsburgen in hoher Zahl. In solchen Fällen kommt es dann nicht selten zu Unschärfen bei der Scheidung zwischen Burg und Schloss. So finden sich zum Beispiel in Westfalen oder auch am Niederrhein unzählige Wasserburgen und Wasserschlösser, die in ihrer baulichen Gestalt aber fast ausnahmslos neuzeitliche Schlossanlagen sind. Die Bezeichnung als Burganlage lebte dessen ungeachtet aber in einigen Fällen fort.
Das neuzeitliche Schloss
Residenzbildung und Festungsbau
Mit der zunehmenden Territorialisierung von Herrschaftsgebieten, die bereits im Spätmittelalter einsetzte und sich in der Neuzeit verfestigte, bildeten sich Residenzorte aus, was mit einem gestiegenen Repräsentationsbedürfnis der Landesherren verbunden war. Hinzu kam die nun immer deutlicher werdende Funktionstrennung zwischen Wohnen und Verteidigen bei herrschaftlichen Bauten.
Um mit der neuen Waffentechnik halbwegs mitzuhalten, wurden umfangreiche Verteidigungsanlagen um die Städte selbst angelegt, die nach italienischem Vorbild aus Bastionen, Gräben und Wällen bestanden und nicht selten die Flächenausdehnung der Stadt übertrafen. Die Hochphase dieser Anlagen lag im 17. Jahrhundert. Davon zeugen heute noch die vielfach sternförmig verlaufenden Grüngürtel um die Altstädte. Das Schloss selbst als Sitz des Stadt- oder Landesherren befand sich dann innerhalb der Stadt und verfügte über gar keine oder eine stark reduzierte Wehrhaftigkeit, die sich primär gegen die eigene Stadtbevölkerung richtete. Auseinandersetzungen zwischen städtischer Bevölkerung und dem Stadtherren waren im Spätmittelalter und der beginnenden Neuzeit keine Ausnahme, eher die Regel.
Dieser Festungsbau ist aber bei potentem Hochadel auch bei Schlössern außerhalb der Stadtbezirke zu beobachten. Eine perfekte Festungsanlage dieser Art ist die Festung Rosenberg in Kronach in Bayern. Der Endpunkt dieser Entwicklung, die bis ins 19. Jahrhundert reichte, sind reine Festungsanlagen, die sich von der Stadt oder dem Schloss lösten und isoliert als befestigte Kaserne ausgeführt wurden.
Elemente des Renaissance-Schlosses
Das Renaissance-Schloss versuchte die Gesamterscheinung zu vereinheitlichen, bei der die Funktion der einzelnen Räume und Bauteile nach Außen hin nicht oder nur bedingt ablesbar war. Das Ideal war der einheitliche geschlossene Vierflügelbau mit Hof, der aber selten in letzter Perfektion ausgeführt werden konnte, weil eine lange Bauzeit oder die Einbeziehung mittelalterlicher Bauteile dies konterkarieren. Die Wehrhaftigkeit tritt bei diesen Anlagen in den Hintergrund, ist aber in hoher Zahl an den runden oder rechteckig ausgebildeten Ecktürmen zumindest symbolhaft vorhanden. Dadurch nehmen diese Schlösser den Typus eines Kastells an, das als regelmäßige Anlage mit Ecktürmen bereits seit der Antike bekannt war und gelegentlich auch im Burgenbau des Mittelalters Anwendung fand. Gut zu studierende Bauten dieser Art sind das Schloss Augustusburg bei Chemnitz oder das Schloss Johannisburg in Aschaffenburg, die zugleich demonstrieren, wie die Bezeichnung als Burg im Namen des Schlosses über das Mittelalter hinaus fortleben kann.
Zu einem essenziellen Element des Schlossbaus wurde nun die Raumordnung mit differenzierten Raumfunktionen, wenngleich die Anfänge dieser Entwicklung bereits im Mittelalter angelegt sind. Wohneinheiten aus Vorraum, beheizbarer Stube und Schlafkammer werden zu Appartements zusammengefasst. Repräsentation und standesgemäßes Wohnen werden im Laufe der frühen Neuzeit zunehmend zum beherrschenden Thema adeliger Baukultur. Die Erschließung der Räume wird nicht selten durch Arkadengänge an den Hoffassaden bewerkstelligt. Sie konnten sowohl im Erdgeschoss – hier weniger funktional als repräsentativ gedacht – als auch in Obergeschossen zur Anwendung kommen. Dieses von italienischen Vorbildern übernommene Element wertet die Architektur zugleich auf. Die Stadtresidenz des bayerischen Herzogs in Landshut ist ein prominentes Beispiel unter vielen anderen des 16. Jahrhunderts.
Das barocke Schloss
Im Barock verdrängt das höfische Zeremoniell und der Repräsentationsanspruch des Adels die letzten fortifikatorischen Funktionen. Dreiflügelanlagen von perfekter Symmetrie, mit Corps de Logis und Ehrenhof, werden ausgehend von Versailles zum Ideal des absolutistischen Anspruchs. Opulente Treppenhäuser wie in den Schlössern von Würzburg, Pommersfelden oder Brühl werden Teil der Inszenierung, zu der differenzierte Raumstrukturen für alle erdenklichen Funktionen beitragen. Die Erschließung über lange Flure und die Aneinanderreihung von Räumen, die sich in einer Flucht zueinander öffnen – die Enfilade -, wird zur Norm des barocken Schlossbaus. Allein an der Terminologie erkennt man, dass die französischen Vorbilder hierbei ganz Europa prägten. Das gilt auch für die Gartenanlagen, die die Schlösser umgaben.
Viele Bauten entstanden nun außerhalb der schützenden Stadtmauern. Gleichzeitig wurden vielerorts die letzten Höhenburgen aufgegeben. Die Architektur öffnete sich zur Landschaft und bezog diese in die neuartige Gesamtkonzeption ein. Sichtachsen machten die barocke Residenz zum Höhepunkt weitläufiger Strukturen, die manchmal einen ganzen Hofstaat aufnahmen. Die Schlossanlagen von Karlsruhe oder Schwetzingen stehen hierfür beispielhaft. Das Aufkommen von Jagd- und Lustschlössern demonstrierte die veränderten Bedürfnisse und Ansprüche an die Architektur des Hochadels. Das als Jagdschloss der Fürstbischöfe von Münster sternförmig errichtete Schloss Clemenswerth im Emsland ist ein exzellenter Vertreter dieser Gattung, bei dem die Architektur der einzelnen Baukörper und die Gestaltung der umgebenden Landschaft eine Einheit bilden. Barocke Schlossanlagen werden in aller Regel als ganzheitliche Werke verstanden.
Ausklang und Rückblick
Im Klassizismus änderte sich die Funktion der Schlösser nicht wesentlich. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ersetzte der Landschaftsgarten die barocke Symmetrie zunehmend. Dabei nahm sich der Schlossbau als zentrales Element weitgehend zurück und wurde zu einem Teil des Gesamtgefüges in einer park- und waldartigen Landschaft mit wie zufällig drapierten Einzelbauten. Vorbildhaft für Deutschland wurde das Gartenreich Dessau-Wörlitz mit dem Wörlitzer Park und dem gleichnamigen Schlossbau.
Das 19. Jahrhundert ist in Deutschland die Zeit des Historismus und der Burgenromantik, die zu zahlreichen romantisierenden Wiederaufbauten von Burgruinen – vor allem am Rhein – führte. Historisierende Komplexe wie das Schloss Neuschwanstein des bayerischen Königs Ludwig II. oder die Burg Hohenzollern standen im Widerspruch von Funktion und äußerer Gestalt. Der vermeintlich wehrhafte Charakter ist hier lediglich ein bloßes Zitat ohne funktionale Bindung. In Schwerin errichtete man ein opulentes Residenzschloss im Stil der französischen Renaissance. Gelegentlich legte man sogar künstliche Burgruinen wie die Löwenburg auf der Wilhelmshöhe bei Kassel an. Burg und Schloss verlieren ihren angestammten typologischen Bezugsrahmen. Mit der Villa Hügel der Unternehmerfamilie Krupp in Essen wird sogar das adelige Schloss und die bürgerliche Villa zusammengeführt. Die wehrhafte Burg und das repräsentative Schloss verschmelzen jetzt am Ende adeliger Kultur zu teils eigenwilligen Baulösungen mit häufig übersteigerter Symbolwirkung.
Lesetipp zur Vertiefung: Thomas Biller, G. Ulrich Großmann, Burg und Schloss. Der Adelssitz im deutschsprachigen Raum, Darmstadt 2002
Noch verwirrender wird es, wenn man den Begriff Palast einführt, den es dann doch wieder in allen anderen europäischen Sprachen zur Abgrenzung von „castle“/“castillo“/etc. gibt.
Stimmt. Das ist dann aber manchmal eine umgangssprachliche Bezeichnung. Oder es ist ein Stadtpalast gemeint. Siehe auch „Palazzo“ im Italienischen oder „Palais“ im Französischen! Begrifflich geht der Palast auf den Palas der mittelalterlichen Burg und noch weiter auf den Palatin, einen der soeben Hügel in Rom zurück.